Veröffentlichungen

ACTA ORGANOLOGICA 38 - Kurze Zusammenfassungen

Thomas Bergner

Bernhard Kreutzbach (1843–1900) – der „verschollene“ Kreutzbach

Bernhard Kreutzbach war der Sohn des Orgelbauers Urban Kreutzbach (1796–1868) und Bruder von Richard Kreutzbach (1839–1903), mit dem er nach dem Tod des Vaters zunächst die Orgelbaufirma weiterführte. Bis 1875 bauten die Brüder 14 neue Orgeln; dann verließ Bernhard die Firma. Einige Jahre später muss er nach Dippoldiswalde umgezogen sein, wo er als Kaufmann bezeichnet wurde und 1900 starb. Seine 1885 eingegangene Ehe blieb kinderlos.

[Acta Organologica 38, 2024, 135-138]


Lynn Edwards Butler

Die Scheibe-Orgel für Zschortau – 1746

Die Orgel in Zschortau, etwa 20 km nördlich von Leipzig, ist das einzige erhaltene Instrument des Leipziger Orgelbauers Johann Scheibe (1680–1748). Der größte Teil des Pfeifenwerks ist original, und da in den Leipziger Stadtkirchen keine Barockorgeln erhalten sind, stellt Scheibes Orgel eine wichtige Verbindung zur Vergangenheit dar, eine akustische, visuelle und taktile Begegnung mit einer Orgel, die von Johann Sebastian Bach gespielt und untersucht wurde. Scheibe war Universitäts-Orgelbauer in Leipzig, eine Position, die er 1717 übernahm, nachdem er einen großen Umbau der Universitätsorgel in der Paulskirche abgeschlossen hatte. Er war mehr als 40 Jahre lang als Instrumentenbauer in Leipzig tätig – und 25 Jahre lang Bachs Kollege – und baute die Orgeln in der Nikolaikirche, der Thomaskirche, der Johanniskirche und der Neuen Kirche entweder neu oder baute sie um. 
In Zschortau baute Scheibe eine Orgel mit 13 Registern – 10 Register im Manual, 3 Register im Pedal, drei Rahmenbälgen, Tremulant, Kalkantenglocke und einer Pedalkoppel („Windkoppel“). Bei seiner Prüfung am 7. August 1746 erklärte Bach alles für „tüchtig, fleißig und wohl erbauet“ und stellte fest, dass vier Register und die Pedalkoppel über die vertraglichen Vorgaben hinaus gebaut worden waren. Die Zschortauer Disposition ist für einmanualige Orgeln der damaligen Zeit ungewöhnlich; sie umfasst unter anderem ein Quinta Thön 16' aus Holz, zwei geteilte Register (Viola de Gamba 8' und Hohl Floet 3'), sowie Violon 8' im Pedal. Die Orgel ist innovativ und vielseitig und wird nicht nur von ihren Spielern und Zuhörern, sondern auch von ihrem Restaurator (Hermann Eule Orgelbau, 2000) sehr geschätzt. Wie Konrad Dänhardt feststellte, ist der „frische Klang der Principale“ zusammen mit den „in die Romantik tendierenden Klangkombinationen“ und der „hohen Anzahl an 8'- und 16'-Registern“ sowie der Mixtur, deren Terz im Diskant „den hohen Klängen eine angenehme Farbe verleiht“, einzigartig unter den Barockorgeln im Leipziger Raum.

[Acta Organologica 38, 2024, 69-94]


Hans Huchzermeyer

Christian Wilhelm Möhling (1800-1863), Orgelbauer in Rinteln
Ein Beitrag zur Geschichte des Orgelbaus in den Grafschaften Lippe und Schaumburg in den ersten zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts

Christian Wilhelm Möhling (1800–1863) war ab 1835 bis zu seinem Tod Orgelbauer und Orgelrevisor in Rinteln. Zuvor arbeitete er 10 Jahre bei den Orgelbauern Georg Quellhorst und Carl Naber in den Niederlanden. 1839 heiratete er Emilie Zeiss (* 1806); nach deren Tod (1850) Juliane Kirchner. Durch die Vermittlung seines Schwiegervaters Adam Zeiss, Pfarrer in Silixen, erhielt Möhling von den Konsistorien in Kassel, Rinteln und Detmold die Patente, in den Grafschaften Schaumburg und Schaumburg-Lippe sowie im Fürstentum Lippe die Aufsicht und Revision der Orgeln durchzuführen. Mit diesen Patenten, seiner guten Vernetzung in der reformierten Kirche und seinen guten Kontakten zu Sachverständigen wurde Möhling im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten Orgelbauer dieser Region. Im Vordergrund seiner Tätigkeit standen Reparaturen und Umbauten vor allem in Landgemeinden. In seinen Dispositionen für Lage (nicht realisiert) und Valdorf (1844/45) setzte er die traditionelle Einmanualigkeit der lippischen und westfälischen Orgeln fort. Bei den Neubauten in Möllenbeck (1842), Schötmar (1856), Rinteln (1860) und Eisbergen (1862) folgte er den zeitgenössischen Tendenzen mit zwei Manualen und Pedal sowie zeittypischen Registern. Nach seinem Tod wurde seine Werkstatt für kurze Zeit von Wilhelm Meyer (1833–1870) aus Herford fortgeführt. 

[Acta Organologica 38, 2024, 95-134]


Max Reinhard Jaehn

Das mechanische Registercrescendo von Friedrich Ladegast: ein Zwischenzeitalter der Orgel-Technologie, 1870–1890

Friedrich Ladegast (1818–1905) entwickelte in den späten 1860er Jahren ein mechanisches, automatisch laufendes Registercrescendo für große Schleifladenorgeln; 1871 stellte er es in der Domorgel zu Schwerin erstmals vor. Diese Orgel ist als einzige von den zehn Orgeln, die diese Besonderheit bekamen, unverändert erhalten. Daher kann hier eine genaue technische Beschreibung des aufwendigen Mechanismus gegeben werden, der mit Barkerhebel-Unterstützung in rein mechanischer Technologie nach wie vor funktioniert. Später übertrug Ladegast seine Crescendo-Decrescendo-Mechanik auch auf seine Kegelladenorgeln. Anfang der 1890er Jahre brachte das Umschwenken auf die röhrenpneumatische Traktur und der Übergang auf die besser handhabbare Spieltischwalze das Ende des Automatik-Crescendos, und durch Umbau, Neubau und Kriegszerstörung gingen bis auf die Schweriner alle Crescendo-Maschinen Ladegasts verloren.

[Acta Organologica 38, 2024, 139-178]


Alfred Reichling / Matthias Reichling

Orgeln in deutschen Freimaurerlogen

Die erste Freimaurerloge in Deutschland wurde 1737 in Hamburg gegründet. In der Folgezeit wuchs die Zahl der Logen auf mehrere Hundert an. Ab 1933 lösten sich einige Logen selbst auf, die restlichen wurden 1935 verboten. Dabei wurden die Orgeln häufig unter Wert verkauft; viele wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Die Musik, vor allem der Gesang, spielte bei den Freimaurern schon früh eine große Rolle. Klavier, Orgel oder Harmonium (Physharmonika) wurden vor allem zur Begleitung verwendet, aber auch solistisch zur akustischen Untermalung von Zeremonien oder für Zwischenspiele. Um 1800 ist auch mehrfach die Glasharmonika erwähnt.
Zahlreiche Orgelbauer waren Freimaurer, darunter Wilhelm Furtwängler, Friedrich Ladegast, Wilhelm Sauer und Oscar Walcker.
Die frühesten Nachrichten über Orgeln in deutschen Freimaurerlogen finden sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Es handelte sich zunächst um kleine Instrumente mit drei oder vier sanften Registern. Auch in größeren Orgeln ging man meist nicht über die Vierfußlage hinaus. Oft stand die Orgel kaum sichtbar in einem Nebenraum; manchmal war sie komplett schwellbar. Für große Logen entstanden aber auch optisch repräsentative Instrumente mit bis zu 30 Registern.
Die meisten Orgeln in Freimaurer-Logen wurden von der großen Firmen Walcker, Sauer und Furtwängler & Hammer erbaut, aber auch kleinere Firmen lieferten Instrumente. Eine Besonderheit stellte die Orgel der Loge in Meiningen (1932) dar: Es handelte sich um ein sogenanntes »Oskalyd«, ein Instrument mit Extensionen und Transmissionen aus vier Pfeifenreihen, die teilweise changierend waren (die Klangfarbe änderte sich über den Verlauf der Klaviatur). Diese Instrumente wurden ansonsten meistens in Kinos aufgestellt.

[Acta Organologica 38, 2024, 367-442]


Jiří Sehnal

Der Einfluss der Musikpraxis auf Klang und Bau der Orgel in Mähren vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert

Die wichtigsten Aufgaben der Organisten in Mähren im 17. und 18. Jahrhundert bestanden einerseits im freien Improvisieren und andererseits in der Begleitung der figurierten (mehrstimmigen) Musik nach den Regeln des Generalbasses. Dazu kam ab den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts die Begleitung des Gemeindegesangs, als die ersten Gesangbücher mit bezifferten Bässen erschienen. Die Kaiserin Maria Theresia befahl 1755, in jenen Orten, wo es keine „Musik“ (Figuralmusik) gab, den Gesang geistlicher Lieder einzuführen. Ihr Sohn Joseph II. verbot den Klöstern, die bisher Hauptzentren der Figuralmusik waren, die Figuralmusik streng. In den übrigen Kirchen war die Pflege der Figuralmusik toleriert, falls sie dazu die nötigen Mittel hatten. Als Ersatz wurde dem Volk befohlen, bei der Messe vorgeschriebene Lieder als „Normalgesänge“ mit Orgelbegleitung zu singen. Als im 19. Jahrhundert die Figuralmusik in die Kirchen zurückkehrte, spielte der geistliche Gemeindegesang in der Volkssprache längst die Hauptrolle.
Zur Frage, wie die Änderungen in der Kirchenmusik den Orgelbau beeinflusst haben, lässt sich sagen: In der Figuralmusik, die vor den Josephinischen Reformen gewöhnlich eher bescheiden besetzt war, spielten die Holzgedackten Copula maior 8' und Copula minor 4' für das Generalbass-Spiel die Hauptrolle. Deshalb standen diese bei zweimanualigen Instrumenten sowohl im Hauptwerk als auch im Positiv, und für Positive genügten fünf oder sechs Register.
Nach 1860 zeigte sich, dass die nach Barockregeln disponierten Orgeln für die Leitung und Begleitung des Gemeindegesangs zu schwach waren. Das neue Klangideal bevorzugte deshalb die achtfüßigen und streichenden Register bei gleichzeitiger Reduzierung der höheren Aliquotstimmen. Es handelte sich hier also nicht nur um romantische Empfindung und orchestrales Denken, sondern auch um das praktische Erfordernis eines stärkeren Klanges in der Achtfußlage. 
Die alten Orgeln bis ungefähr 1750 waren hinterspielig, oder die Spieltische waren so angebracht, dass der Organist mit dem Rücken zum Hochaltar saß und den Zelebranten nicht direkt sehen konnte, was auch für Chor und Orchester galt. Deshalb begann man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den freistehenden Spieltisch so zu postieren, dass der Organist einen freien Blick auf den Hochaltar hatte.

[Acta Organologica 38, 2024, 9-68]


Franz-Josef Vogt (†) / Gabriel Isenberg

Der Kölner Orgelbauer Ernst Seifert und sein Werkverzeichnis

Der am 9. Mai 1855 in Sülzdorf im thüringischen Kreis Hildburghausen geborene Ernst Hubert Seifert arbeitete nach seiner Ausbildung zum Orgelbauer als Werkführer bei Franz Wilhelm Sonreck in Köln sowie bei Clemens Schneider in Mudersbach. Noch in dieser Zeit entwickelte er sein erstes rein pneumatisches Windladensystem („Kommunikationslade“), das später patentiert wurde. Zu Beginn des Jahres 1885 machte Seifert sich in Köln-Mannsfeld selbständig und gründete damit einen Orgelbaubetrieb, dessen Auftragsbücher schnell gut gefüllt waren. Während die klangliche Gestalt seiner Instrumente zweifellos dem Zeitgeist des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts folgte, ist bemerkenswert, wie sicher sich Ernst Seifert der Funktion seines pneumatischen Systems gewesen sein muss, das er von Anfang an ausschließlich zur Anwendung brachte.
Zu den bedeutendsten Instrumenten aus der Werkstatt Ernst Seiferts gehört die große, jüngst restaurierte Orgel der Marienbasilika Kevelaer aus dem Jahr 1907, die bis heute zu den bedeutendsten Zeugnissen des spätromantischen Orgelbaus in Deutschland zählt und für die Seifert eigens einen Zweigbetrieb in Kevelaer einrichtete.
Nur ein Bruchteil der Instrumente aus der Zeit des Firmengründers ist bis heute erhalten, was zum einen mit den sich wandelnden klanglichen Idealen der Orgelbewegung zusammenhängt, aber auch mit der großen Zahl der Kriegszerstörungen im Arbeitsgebiet Ernst Seiferts, das nicht unwesentlich die Ballungszentren um Köln und in den Industrieregionen des Ruhrgebiets umfasste. Umso bedeutender ist es, den wenigen unverändert erhaltenen Seifert-Orgeln aus dieser Epoche die Aufmerksamkeit zu widmen, darunter auch der kleinen, 2022 wiederhergestellten Orgel in Seiferts Geburtsort Sülzdorf.
Das von Ernst Seifert angelegte, handschriftliche Werkverzeichnis führt insgesamt 209 Instrumente auf, die zwischen 1885 und 1914 geliefert wurden. Im vorliegenden Artikel werden die Angaben des Werkverzeichnisses detailliert transkribiert und kommentiert. Dabei wurden auch wichtige Daten zur Vorgeschichte der Seifert-Orgeln ergänzt sowie Details zum weiteren Werdegang der Instrumente zusammengestellt. Dadurch bieten sich detaillierte Einblicke in die Bau- und Dispositionsweise der Seifertschen Instrumente. Zugleich zeichnet sich auf diese Weise ein ausführliches Portrait der Orgelbautradition Ernst Seiferts, die sich durch seine drei Söhne Romanus, Walter und Ernst II in drei Betriebszweigen auf unterschiedliche Weise weiterentwickelte. Der Firmenzweig von Romanus Seifert besteht bis heute in inzwischen fünfter Familiengeneration in Kevelaer.

[Acta Organologica 38, 2024, 179-366]