Veröffentlichungen
ACTA ORGANOLOGICA 37 - Kurze Zusammenfassungen
Christian Binz
Eine Nollet-Orgel für die Benediktinerinnenabtei Eibingen. Orgelbau am Rhein-Nahe-Eck um 1724
Jean Nollet (1681–1735) begründete eine Orgelbauerfamilie mit drei Generationen, die vorwiegend im Bereich um Trier und Luxemburg tätig war. Sein Orgelbau-Stil zeigt Einflüsse von Orgelbauern, die aus Nordfrankreich stammen.
Nachdem eine Schwägerin des Trierer Orgelmachers Nollet in den Konvent von Eibingen eingetreten war, ergab sich im Jahre 1724 ein Vertrag zur Lieferung einer Orgel mit 15 Registern durch Nollet. Diese Orgel kam nach der Aufhebung des Klosters im Jahre 1814 in die Rochuskapelle oberhalb von Bingen, die 1889 abbrannte.
Die ehemalige Abteikirche wurde zur Pfarrkirche für Eibingen. Heute steht in dieser Kirche ein Instrument (II/25) der Firma Klais (Bonn) von 1964. Die neu aufgebaute Rochuskapelle erhielt 1895 eine Orgel der Firma Schlimbach (II/20) aus Würzburg.
Im Vertrag von 1724 sind lediglich die beiden Zungenstimmen Vox humana und Vox angelica genannt, die damals im mittelrheinischen Gebiet noch Besonderheiten waren. Der rechtsrheinische Rheingau und das gegenüberliegende linksrheinische Gebiet der unteren Nahe gehörten damals zum Erzbistum Mainz. Hier begann sich die Vox humana nur langsam zu etablieren.
Bei der Orgelbauerfamilie Stumm zu Rhaunen-Sulzbach im Hunsrück lässt sich die Vox angelica 2' erst bei den späteren Werken nachweisen. Die Instrumente der Mainzer Orgelbauer Joh. Jakob Dahm, Johann Ignaz Will und Johannes Kohlhaas, waren sehr arm an Zungenregistern. Die gilt auch für die Orgeln von Joh. Friedrich Macrander (Frankfurt am Main) sowie für jene der in Bad Kreuznach ansässigen Orgelbauer Jakob Irrlacher und Valentin Marquard.
[Acta Organologica 37, 2022, 9-46]
Andreas Hahn
Das Richborn-Positiv in Ruchow. Geschichte – Restaurierung
Aus der Werkstatt des Hamburger Orgelbauers Joachim Richborn sind vier Positive bekannt. Das Positiv in der evangelischen Kirche zu Ruchow mit der Jahreszahl 1684 im Innern des Instruments ist nach dem heutigen Stand der Forschungen die zweitälteste Orgel Mecklenburgs. Es stand früher in der Schlosskapelle von Bützow und wurde von der dortigen reformierten Gemeinde benutzt.
1795 wurde das Positiv von dem Orgelbauer Heinrich Schmidt (1748–1797) aus Dobbertin für die Gemeinde in Ruchow angekauft. Schmidt vergrößerte 1796 die Disposition von fünf auf sieben Register, erweiterte das Gehäuse und fügte eine neue Windlade hinzu. Bei diesem Umbau gingen folgende originale Teile verloren: Manualklaviatur, Balganlage, Flügeltüren und weitere Teile des Gehäuses.
In den Jahren 2014 und 2015 erfolgte eine Restaurierung und Rekonstruktion. mit dem Ziel einer möglichst detailgetreuen Wiederannäherung an das Original. Das äußere Bild des Instruments mit den Teilen von Schmidt blieb weitgehend erhalten (Orgelbau Reinalt Klein, Lübeck).
Die originalen Teile Richborns wurden herausgelöst und zusammen mit Ergänzungen durch Jehmlich Orgelbau Dresden zu einem Positiv im ursprünglichen Sinne gemacht, das im Altarraum der Kirche Aufstellung fand.
[Acta Organologica 37, 2022, 47-86]
Andreas Kitschke
Der Orgelbauer Christoph I Treutmann
Eine der größten erhaltenen Barockorgeln Deutschlands ist das 1734–37 von Christoph I Treutmann (1673/74–1757) aus Magdeburg erbaute dreimanualige Instrument in der Klosterkirche Grauhof bei Goslar (III/P/42/Glockenspiel). Treutmann war jahrelang zusammen mit Matthäus Hartmann (1680–1738) Mitarbeiter und Meistergeselle von Arp Schnitger (1648–1719); beide ließen sich um 1710 in Magdeburg nieder. Schüler Treutmanns waren der spätere Berliner Meister Joachim Wagner (1690–1749), Leopold Christian Schmaltz (1717–1771) und Christian Braun (~ 1711–1793), die danach eigene Werkstätten führten.
Der gleichnamige Sohn Christoph II Treutmann (~ 1710–1781) lernte bei seinem Vater und bildete später Adam Heinrich Rietz [Ritze] (1728–1784) aus. Christoph III Treutmann (~ 1755– nach 1814) führte als Enkel die Magdeburger Werkstatt fort.
Die nach derzeitigem Forschungsstand sicher noch nicht vollständige Werkliste des bis ins hohe Alter tätigen Magdeburger Meisters Christoph I enthält zwei Neubauten mit drei und zwölf mit zwei Manualen. Dazu kommen sechs einmanualige Werke und einige Um- und Erweiterungsbauten. Insbesondere das erhaltene und zugleich größte bekannte Instrument in Grauhof verdeutlicht, dass die Klangvorstellungen des ältesten Treutmann den Übergang vom schlanken und farbigen Klangideal Schnitgers zum kräftigeren und die Äquallage verbreiternden Personalstil Wagners vorbereiteten.
[Acta Organologica 37, 2022, 87-160]
Stein Johannes Kolnes / Jürgen Magiera
Der Spieltischbauer Josef Mühlbauer
Josef Alois Mühlbauer (1905–1995) war etwa ab 1927 bei der Spezialfabrik Ludwig Eisenschmid in München tätig. Um der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland zu entgehen, wechselte er im Juni 1933 als sehr willkommener Spieltischbauer zur norwegischen Orgelbaufirma Jørgensen in Oslo über; denn durch seine Arbeit, die immer auf Verbesserungenbedacht war, konnten teure Importe vermieden werden.
Sein Antrag auf Einbürgerung wurde jedoch noch im Mai 1938 abgelehnt. Immerhin konnte er im September des gleichen Jahres eine Norwegerin heiraten. Die deutsche Okkupation Norwegens im Jahre 1940 führte dazu, dass er 1943 zwangsweise im Mai aus der Firma Jørgensen entlassen wurde und sich in Lüneburg beim deutschen Militär melden musste. Weil er kriegsuntauglich war, wurde er zunächst als Dolmetscher in einem deutschen Kriegsgefangenenlager für norwegische Offiziere beschäftigt und 1944 als Ordonnanz in die Festungskommandatur Bergen versetzt. Nach Kriegsende, am 30. Mai 1945, als alle deutschen Soldaten noch unter deutschem Kommando standen, wurde er von deutscher Feldgendarmerie (als Deserteur) und norwegischer Polizei (als Landesverräter) verhaftet und in ein norwegisches Gefängnis gebracht. Erst im Juli 1946 – erhielt er – nach vielen Bemühungen von den verschiedensten Seiten– wenigstens Aufenthaltserlaubnis, die jährlich erneuert werden musste, so dass er wieder arbeiten konnte.
Zu Neujahr 1950 wurde ihm endlich die norwegische Staatsbürgerschaft gewährt. Aber spätestens 1951 war Mühlbauer ernsthaft erkrankt. Er wurde mit leichteren Arbeiten beschäftigt und kam in der 1970er Jahren mit seiner Frau in ein Pflegeheim. Die Firma Jørgensen wurde 1983 geschlossen.
Mühlbauer baute ab 1933 pneumatische Spieltische, 1935 den ersten elektrischen Spieltisch für die evangelisch Kirche Oslo-Frogner. Ab 1938 wurden auch Orgeln nach dem Unit-System gebaut, was die Spieltische komplizierter machte. Das größte Instrument Jørgensens war die viermanualige Orgel für Ålesund (1942; erst 1945 aufgestellt).
Im zweiten Teil des Artikels werden die Details der Spieltische der Firma Jørgensen zur Zeit der Tätigkeit von Mühlbauer (Koppeln, Kontaktapparate, Kombinationen) genauer beschrieben und mit den Systemen von Steinmeyer sowie anderen mitteleuropäischen Firmen verglichen und durch zahlreiche Fotos illustriert.
[Acta Organologica 37, 2022, 161-206]
Matthias Reichling / Alfred Reichling
Die Requirierung der Orgel-Prospektpfeifen in Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkriegs
Bald nach dem Kriegsbeginn im Sommer 1914 wurden in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn – wie auch in Deutschland – zahlreiche Rohstoffe knapp, darunter viele Metalle wie Kupfer und Zinn. Bereits 1916 mussten daher unter anderem die Kirchenglocken und Gegenstände aus Zinn abgeliefert werden. Bald plante man, auch die Orgelpfeifen zu beschlagnahmen.
Zunächst in Ungarn, danach in Österreich begannen 1917 Beratungen über die zweckmäßige Durchführung dieser Aktion. Anfänglich sollten die größeren Prospektpfeifen (größer als 2-Fuß-Länge) und große Metallpfeifen (größer als 4-Fuß-Länge) im Inneren ausgebaut werden und zwar nur bei Orgeln mit mehr als 8 Registern. Letztendlich beschränkte man sich auf die Prospektpfeifen, die aber auch bei den kleinen Orgeln ausgebaut werden sollten. Es wurde eine „Organisation der Orgelbaumeister Österreichs“ unter der Leitung von Otto Rieger und Franz Josef Swoboda ins Leben gerufen, die das österreichische Gebiet unter den Orgelbauern aufteilte; auch das ungarische Gebiet wurde auf die dortigen Orgelbauer verteilt. Das Denkmalamt erreichte zusammen mit dem Kultusministerium, dass Orgeln mit besonderem historischem und künstlerischem Wert ausgenommen wurden. Am 29. Oktober 1917 erschien die entsprechende Verordnung zeitgleich in Österreich und in Ungarn. Mit dem Ausbau der Pfeifen sollte am 15. November 1917 begonnen werden.
Schon im Vorfeld hatte es zahlreiche Einwände gegen die Ablieferung gegeben. Vor allem die Kirchenmusiker beklagten, dass die Orgeln dadurch unspielbar würden und die Kirchenmusik für viele Jahre leiden würde. Außerdem wollten sie nicht die alten, unbrauchbaren Orgeln schonen, sondern viel eher die modernen, „künstlerisch brauchbaren“ Instrumente erhalten.
Das Denkmalamt, das für die Befreiung aus kunsthistorischen Gründen zuständig war, legte fest, dass nur Orgeln aus der Zeit vor 1800 befreit werden konnten. Allerdings galt dies auch, wenn die Prospektpfeifen neuer waren, aber das Gehäuse durch ihre Herausnahme beschädigt werden konnte. Nachdem es keinen Überblick über den Orgelbestand gab, sollten die Pfarrer Fragebögen mit Angaben zur Orgel ausfüllen. Diese wurden aber nicht in allen Landesteilen gefordert und sind auch nur teilweise erhalten geblieben. Für die Beurteilung des musikalischen Werts wurden von den Diözesen Sachverständige, zumeist Geistliche, benannt. Diese schlugen hauptsächlich neuere Orgeln zur Befreiung vor, was den Orgelbauern missfiel, sodass die Listen der befreiten Orgeln teilweise reduziert wurden.
In Österreich begann der Ausbau am 19. November 1917, in Ungarn erst im Februar 1918. Die Orgelbauer bauten in dem ihnen zugeteilten Gebiet die Prospektpfeifen aus, nahmen ihre Mensuren auf, schoben dann mehrere Pfeifen ineinander, bogen und traten sie zusammen und packten sie in eine Kiste. Die Orgelbesitzer mussten sie dann per Bahn an den Lagerplatz des Kriegsministeriums in Wien schicken. Dort wurde die Sendung überprüft und die Zahlung veranlasst.
Einige Pfarrer weigerten sich, die Orgelpfeifen abzugeben; manchmal griff sogar die Bevölkerung den Orgelbauer an und verhinderte den Ausbau. In einigen Fällen waren die Pfeifen bei Ankunft des Orgelbauers verschwunden; sie wurden als gestohlen gemeldet, tauchten aber nach dem Krieg wieder auf, weil sie nur versteckt worden waren. An manchen Orten wurden dagegen die Pfeifen ausgebaut, obwohl die Orgel befreit war, weil dies den Orgelbauern zu spät mitgeteilt worden war.
Gegen Ersatzpfeifen aus Zink gab es zunächst teilweise Vorbehalte, obwohl die Orgelbauer sie als vollwertigen Ersatz anpriesen. Weil auch Zink knapp war, konnten diese Pfeifen nur bei einem kleinen Teil der Orgeln noch während des Krieges eingebaut werden.
In den besetzten Gebieten Italiens wurden 1918 ebenfalls Pfeifen ausgebaut, wobei man hier auch Innenpfeifen entfernte.
Das Gesamtergebnis an Zinn war deutlich geringer als man zunächst erhofft hatte. Insgesamt verlor im österreichischen Teil nur etwa die Hälfte der Orgeln ihre Prospektpfeifen. Allerdings wurden durch die Kriegshandlungen in den Frontgebieten zu Italien und Russland zahlreiche Orgeln beschädigt oder zerstört. Die Aktion bedeutete einen großen Verlust an Kulturgut. Allerdings wurden auch zahlreiche Orgeln, deren Prospektpfeifen verschont geblieben waren, nach dem Krieg durch neue Instrumente ersetzt.
[Acta Organologica 37, 2022, 207-467]