Veröffentlichungen

ACTA ORGANOLOGICA 31 - Kurze Zusammenfassungen

Gerhard Aumüller

Geschichte der Orgel von Bad Wildungen im 16. und 17. Jahrhundert

Am Beispiel der Orgelgeschichte der bedeutenden hessischen Kurstadt Bad Wildungen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird der kultur- und sozialgeschichtliche Kontext erläutert, in dem sich Kirchenmusik und Orgelbau im konfessionspolitisch aufgeladenen 17. Jahrhundert realisierten. Durch die Gegenüberstellung der mainzisch-katholischen Stadt Fritzlar und der lutherisch-waldeckischen Nachbarstadt Wildungen wird der Kulturtransfer beleuchtet, der sich durch die Zusammenarbeit der für den Orgelbau verantwortlichen Organisten ergab, ebenso sein Einfluss auf das intellektuelle Leben, das sich u.a. in einer Reihe von lateinischen Orgelgedichten konkretisierte. Im Einzelnen wurden die folgenden neuen Erkenntnisse zur Biographie und Tätigkeit der beiden für das Wildunger Instrument im 17. Jahrhundert maßgeblichen Orgelbauer, Jacob Hein und Georg Heinrich Wagner sowie die Entwicklung der Orgel in der Stadtkirche von Bad Wildungen erarbeitet:
1. Der Fritzlarer Orgelbauer Jacob Hein entstammte offenbar einer ortsansässigen Familie, dürfte um 1580 geboren worden sein, hatte Haus, Werkstatt und Familie in Fritzlar und arbeitete hauptamtlich als Organist und Schulmeister an der Stiftskirche. Seine bürgerlichen Pflichten erzwangen seine Präsenz vor Ort, was die relativ geringe Zahl der von ihm erbauten Werke erklärt. Der Prospekt der ehemaligen Orgel der Minoritenkirche in Fritzlar, der 1827 in die Fraumünsterkirche versetzt wurde, kommt als einziges erhaltenes Werk Heins in Frage. Gleichwohl ist er als angesehener Meister einzuschätzen, der u.a. auch für den Grafen Christian von Waldeck ein Positiv erbaute. Die erhaltene Korrespondenz erweist ihn als geschickt operierenden Geschäftsmann.
2. Eine ganz andere Dimension erreichte die Werkstatt des aus einer Orgelbauer-Familie stammenden Georg Heinrich Wagner (ca. 1610 - 1688) aus Lich, der als der führender Orgelbauer Hessens mit einem bedeutenden Aktionsradius um die Mitte des 17. Jahrhunderts angesehen werden muss. Er hat den in der Schnittlinie niederländisch-mainfränkischer Traditionen stehenden mittelhessischen Orgeltypus in frühbarocken Formen weiterentwickelt und in den nordhessischen Bereich, darunter auch nach Wildungen, weiter transferiert.
3. Einzelne Formulierungen in den Orgelgedichten und Bemerkungen in der Korrespondenz der Orgelbauer stellen einen starken Hinweis dafür dar, dass bereits zwischen 1620 und 1630 eine Orgelbegleitung des Gemeindegesangs in der Stadtkirche von Wildungen stattgefunden hat.
4. Die Wagner-Orgel von 1647 war eines der größeren Instrumente des Meisters; sie tat ihren Dienst bis 1853, als sie nicht wegen Altersschwäche sondern des gewandelten musikalischen Geschmacks durch ein spätromantisches Instrument ersetzt wurde.
5. Die engen Kontakte zwischen dem katholischen Fritzlarer Organisten und Orgelbauer Jacob Hein und seinem in Wildungen tätigen protestantischen Amtskollegen Balthasar Schellenberger deuten auf einen intensiven interkonfessionellen Kulturaustausch selbst zu Zeiten der Gegenreformation.

[Acta Organologica 31, 2009, 111-148]

 

Martin Balz

Die Dauphin-Orgel in Hergershausen und die für sie bestimmte Registrieranweisung

Die evangelische Kirche in Babenhausen-Hergershausen westlich von Aschaffenburg erhielt 1721 eine Orgel von Johann Christian Dauphin aus Kleinheubach, deren Prospekt noch existiert. Ihr wurde 1784 durch Conrad Zahn aus Groß-Ostheim ein Pedal mit einem Subbass hinzugefügt. 1820 erweiterte Gottlieb Dietz aus Zwingenberg das Pedal um einen Violonbass. Bei einer umfangreichen Reparatur im Jahre 1840 wurde das Werk durch Bernhard Dreymann aus Mainz wesentlich umgestaltet und 1912 durch ein neues der Firma Steinmeyer in Oettingen ersetzt. Die Baugeschichte der Dauphin-Orgel wird anhand des Bauvertrags und weiterer archivalischer Unterlagen erstmalig vollständig dargestellt und die Steinmeyer-Orgel beschrieben.Für die Dauphin-Orgel von 1721 ist in einem zeitgenössischen Choralbuch eine Registrieranweisung erhalten, die Aufschlüsse über die Registrierpraxis des 18. Jahrhunderts auf einer einmanualigen Dorforgel gibt. Sie wird vollständig wiedergegeben und erläutert.

[Acta Organologica 31, 2009, 149-162]

 

Bernhard Billeter

Ernst Schiess als Orgelexperte

Ernst Schiess (1894–1981) wirkte von 1923 bis 1976 als einer der wichtigsten Experten für Orgeln, Glocken und Raumakustik. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er in der reformierten deutschsprachigen Schweiz beinahe eine Monopolstellung inne, ähnlich wie auf katholischer Seite P. Stefan Koller OSB (1893–1984) in Einsiedeln, mit dem Schiess befreundet war. Schiess absolvierte eine Lehre als Feinmechaniker, spielte Violoncello und Viola da Gamba auf professionellem Niveau, erwarb sich aber das orgelkundliche Wissen autodidaktisch durch intensive Studien und den Aufbau eines privaten orgelkundlichen Laboratoriums. Unzählige Orgeln hat er genau inventarisiert, auch auf ausgedehnten Reisen in ganz Deutschland und in den skandinavischen Ländern. Noch vor dem Beginn der Orgelbewegung in Deutschland, seiner Zeit weit voraus, erhielt er Aufträge zu Expertisen, z. B. bei den wichtigen Orgelrestaurierungen in der St.-Klemens-Kathedrale von Aarhus, St. Petri zu Malmö, in den Domen von Kopenhagen, Lund und Roskilde sowie in der Klosterkirche Weingarten, was ihm ermöglichte, freiberuflich von den Expertisen zu leben. Sein Nachlass, in welchem weit über tausend Expertisen genau dokumentiert sind, befindet sich in der Landesbibliothek zu Bern. Sein eng mit der Entwicklung der Orgelbewegung verknüpftes Wirken war für seine Zeit vorbildlich, wenn auch nicht frei von Widersprüchen, wie auch bei seinem frühen Mentor Albert Schweitzer.

[Acta Organologica 31, 2009, 399-424]

 

Christian Binz

Die Orgelbauten in den evangelischen Kirchen des linksrheinischen Teils der ehemaligen Niedergrafschaft Katzenelnbogen seit dem 19. Jahrhundert

Der linksrheinische Teil der Niedergrafschaft Katzenelnbogen erstreckte sich von St. Goar bis in den Hunsrück (Pfalzfeld). 1527/28 wurde die Reformation eingeführt. 1815 gelangte das Gebiet an die preußische Rheinprovinz.
Die Stiftskirche St. Goar hatte bereits in vorreformatorischer Zeit eine Orgel. Sie wurde 1820 durch eine neue der Gebr. Stumm (II+P/23) ersetzt.
Die anderen Orte beschafften sich – bevor sie zu Neubauten schritten – zunächst gebrauchte Orgeln: Werlau (ca. 1803 die alte aus Rhens), Pfalzfeld (1820 die alte aus St. Goar) und Biebernheim (1834). Holzfeld hatte vor den Neubau keine Orgel. In Badenhard war 1830 bereits eine Orgel vorhanden.
Die Gebrüder Weil (Neuwied) konnten in drei Kirchen neue Orgeln bauen: Holzfeld (1856, I+aP/3), Biebernheim (1858, I+P/6), und Pfalzfeld (1869/70, I+aP/9). In Werlau (1861, I+P/11) wurden die Gebr. Stumm (Rhaunen-Sulzbach) der Firma Weil vorgezogen. In Badenhard wurde erst 1910 eine neue Orgel (I+P/7) durch Jakob Oberlinger (Windesheim) aufgestellt.
Die Orgeln in Biebernheim, Pfalzfeld, St. Goar und Werlau sind verändert erhalten. Die Orgeln in Badenhard und Holzfeld (mehrfach) wurden ersetzt. In Badenhard und Werlau haben sich barocke Orgelprospekte von Vorgängerorgeln erhalten.

[Acta Organologica 31, 2009, 87-110]

 

Martin Blindow

Die Herforder Orgelbauwerkstatt Friedrich Meyer

Einer der aktivsten westfälischen Orgelbauer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Friedrich Meyer (1829–1897) in Herford, aus dessen Werkstatt – in der vorübergehend sein Bruder Wilhelm (1837–1870) und sein Sohn Arnold Eduard Friedrich (1863–1887) mitarbeiteten –Instrumente für Westfalen, für das Rheinland und für Schaumburg-Lippe hervorgingen. Mehr als 110 Aufträge lassen sich nachweisen, zahlreiche Dispositionen und viele Verträge sind bekannt, darunter Herford, Münster (III/51). Friedrich Meyer lernte bei J. H. Hoffmann (Bielefeld), Peter Josef Korfmacher (Linnich), Merklin-Schütze et Cie. (Brüssel) und Christian Weil (Neuwied). Er bevorzugte in seinen frühen Jahren mechanische Kegelladen nach System Walcker, wechselte dann aber zur mechanischen Schleiflade. Erhalten ist wenig: Utrecht, St. Joseph (erbaut für Wuppertal-Barmen, St. Johannis); Essen-Hamm kath. Kirche „Zur schmerzhaften Mutter Maria“ (früher: Dortmund-Brackel, ev. Kirche); Herford, Gefängnis (seit 2002 bei Fa. Steinmann, Vlotho, gelagert); Paderborn, kath. Kirche St. Georg (früher: Paderborn, Busdorfkirche); Puderbach, ev. Kirche; Dortmund-Bodelschwingh, ev. Kirche (einige Register).

[Acta Organologica 31, 2009, 277-328]

 

Hubert Fasen / Walter Friehs / Franz-Josef Vogt

Die Kleine-Orgel der evangelischen Kirche in Eckenhagen.
Zur Geschichte der Orgel und ihrer Restaurierung

Etwa 70 km östlich von Köln liegt die Ortschaft Eckenhagen, in deren barocker Dorfkirche sich eine der größten und bedeutendsten historischen Orgeln des 18. Jahrhunderts im Rheinland befindet. Sie wurde erbaut durch Johann Christian Kleine (1737–1805) aus Freckhausen und am 24. Juli 1795 eingeweiht.
Im 19. Jahrhundert wurde die Orgel durch Kleines Neffen und Nachfolger Christian Roetzel (1776–1867) und dessen Sohn Daniel (1830–1917) betreut und etwas verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte das inzwischen ziemlich heruntergekommene Instrument wieder hergestellt werden. Die Arbeiten wurden 1954–55 durch die Kölner Orgelbauwerkstatt Willi Peter nach den damaligen Vorstellungen vom Umgang mit historischen Orgeln ausgeführt und brachten schon einige erhebliche Eingriffe mit sich. Noch radikaler und mit dem heutigen Verständnis von Orgeldenkmalpflege nicht vereinbar waren Veränderungen, die zwischen 1970 und 1972 erfolgten. Durch den Einbau von parallel aufgehenden Ventilen und den Ersatz der Abstrakten durch Seilzüge wurde das Orgeldenkmal in unzulässiger Weise verfälscht.
Es wurde also eine erneute Restaurierung nötig, die von der Orgelbauwerkstatt Hubert Fasen aus Oberbettingen ausgeführt wurde und 2008 zum Abschluss gebracht werden konnte. Eine große Hilfe waren die im Hauptstaatsarchiv Münster aufbewahrten Originalzeichnungen von Johann Christian Kleine, so dass sich die Wiederherstellung und Rekonstruktion nicht mit vagen Vermutungen behelfen musste, sondern auf konkret dargestellte Fakten zurückgreifen konnte.

[Acta Organologica 31, 2009,163-184]

 

Hermann Fischer

Johann Christian Köhler, Orgelbauer in Frankfurt am Main

Geboren am 31. Juli 1714 in Groß-Rosenburg an der Saale als Sohn eines Tischlers, erlernte Köhler den Orgelbau bei einem unbekannten Meister. Er wurde Geselle bei Johann Conrad Wegmann (1699–1738) in Darmstadt, heiratete 1739 die Witwe Wegmanns und kam dadurch in den Besitz der Werkstatt, die er 1740 nach Frankfurt verlegte. Nach und nach baute er ein großes Arbeitsgebiet auf, das von Marburg bis Worms und von Mainz bis Bamberg reichte. Bis jetzt sind 36 Neubauten Köhlers bekannt. Sein Nachfolger wurde 1761 der Stiefsohn Philipp Ernst Wegmann (1734–1778).
Der Klang der Köhler-Orgeln steht dem Stil der Orgelbauer Stumm nahe. Köhler bevorzugte Solo-Zungenregister vor Streichern, wie sie z. B. für Seuffert-Orgeln typisch sind. Seine Prospekte haben eine charakteristische persönliche Note. International bekannt sind die beiden Chororgeln von Ebrach.

[Acta Organologica 31, 2009, 217-275]

 

Franz Körndle

Der Orgelmacher Marx Günzer

Marx Günzer (1579 – 1627/28) war einer der wichtigsten süddeutschen Orgelbauer im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. Nach der Gesellenzeit bei Konrad Schott in Stuttgart und ersten Instrumenten in Backnang und Marbach siedelte er 1603 nach Augsburg über. Er baute Orgeln in Augsburg (St. Ulrich und Afra, Heilig Kreuz (prot), Barfüßerkirche, Dominikanerkirche) und in der regionalen Umgebung (Wettenhausen, Neuburg, Reichenau), wurde aber auch in weiter entfernten Orten geschätzt (Ellwangen, Würzburg). Im vorliegenden Beitrag werden die dokumentierten Fakten erfasst und ausführlich kommentiert. Der Anhang bringt mehrere Original-Dokumente und Dispositionen.

[Acta Organologica 31, 2009, 185-216]

 

Alfred Reichling

Orgeln, Orgelbauer und Orgelbau im Ersten Weltkrieg

Der I. Weltkrieg, der für Millionen Menschen Tod, schwere Verletzungen mit bleibenden Folgen und die Einbuße materieller Güter, für die ganze Menschheit aber den Verlust unersetzlicher kultureller Werte mit sich gebracht hat, machte auch vor der Welt der Orgel nicht Halt. Für den deutschsprachigen Raum bieten besonders die Periodika »Zeitschrift für Instrumentenbau« und »Deutsche Instrumentenbau-Zeitschrift« viele wertvolle Informationen über die Geschicke von Orgelbauern und Orgeln an der Front und über die Verhältnisse im Orgelbau während des Krieges und danach in der Heimat. Bei Kriegsbeginn meldeten sich viele Orgelbauer aus patriotischer Begeisterung als Freiwillige für den Dienst mit der Waffe. Die rauhe Wirklichkeit und die unsägliche, menschenverachtende Grausamkeit der modernen Materialschlachten ließen hochfliegende Gefühle bald einer Ernüchterung weichen. Die Kriegsfurie suchte auch unter den Orgelbauern und Orgeln ihre Opfer, und angesichts des Mangels an Rohmaterialien mussten Glocken und Orgeln der Heimat zur Metallgewinnung für die Rüstungsindustrie herhalten. Spuren von Menschlichkeit zeigen sich in den Versuchen einzelner Soldaten, Orgeln im Frontgebiet, die durch Einschläge von Granaten beschädigt worden waren, mit primitiven Mitteln wieder spielbar und für Gottesdienste benutzbar zu machen. Bereits während des Krieges begann man, Orgeln als Kriegsdenkmäler und Kriegerdenkmäler zu bauen. Am bekanntesten ist die "Heldenorgel" von Kufstein in Tirol (Walcker, 1931), die heute noch täglich zur Mittagszeit erklingt und als Freiluftorgel über die Grenze hinweg auch auf bayerischem Gebiet zu hören ist. 1931 wurde diese Orgel dem Gedenken an tote Helden geweiht; 1963 sprach man von toten Kriegern, 1975 von Gefallenen, und seit 2009 soll sie an die Opfer aller Kriege und Gewalt erinnern. Hierin zeigt sich eine in Stufen verlaufende Abwendung vom Mythos und eine immer deutlicher werdende Öffnung des Blicks für die nackte, furchtbare Realität.

[Acta Organologica 31, 2009, 347-398]

 

Matthias Schneider

Orgelmusik und Organistenmusik in Norddeutschland im frühen 17. Jahrhundert. Zu Johann Vierdancks "Toccata primi toni"

Das in der Düben-Sammlung überlieferte Fragment einer Toccata primi toni von Johann Vierdanck besteht aus fünf viertaktigen Teilfragmenten, deren Fortsetzung auf der (verlorenen) gegenüberliegenden Seite stand. Die Fragmente deuten auf eine Praeludientyp, der sich auch bei Heinrich Scheidemann und Matthias Weckmann findet und von Michael Praetorius beschrieben wird: Der Organist soll damit nicht nur die Zuhörer auf die folgende Figuralmusik einstimmen, sondern den Lautenisten und Violinisten Gelegenheit geben, ihre Saiten nachzustimmen. Daher weisen diese Stücke Orgelpunkte auf den Tönen G und D, A und E sowie C und F auf. Der Rekonstruktionsversuch des Verfassers zeigt zudem eine Sequenzkette zwischen dritter und vierter Zeile. Vermutlich schloss sich an das fragmentarisch erhaltene Praeludium eine Fuge an.

[Acta Organologica 31, 2009, 399-424]

 

Dietrich Schuberth

Medii aevi organum
Zur Verbreitung der Orgel vom 9. bis zum 15. Jahrhundert

Die Geschichte der mittelalterlichen Orgel hat eine Reihe von Darstellungen erfahren. Eine kultur- und liturgiegeschichtliche Darstellung von der Antike bis in die Karolin-gerzeit ist des Verfassers “Kaiserliche Liturgie” von 1968. Hier knüpft “Medii aevi organum” an und nutzt dabei bestimmte für das frühe Mittelalter gewonnene Erkenntnisse. Es ergibt sich eine bisher so nicht beschriebene Betrachtungsweise, nämlich die Beachtung sozialhistorischer Kategorien. Die Orte, Gelegenheiten und Anlässe für den Bau und für den Gebrauch von Orgeln sind von der Antike her die Fürstenhöfe. Zu ihnen treten als Residenzen von schließlich gleichem Rang die Bischofssitze, in deren Gefolge auch die prominenten Klöster. Vom 12. Jahrhundert an kommen die Bürgerschaften bedeutender Städte hinzu, die sich den Repräsentationsgegenstand Orgel zunutze machen. So kann der sozialhistorische Blick klären, warum an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit von der Orgel berichtet wird. Die über 200 Nachrichten von Orgeln und Orgelspiel in dem beschriebenen Zeitraum finden plausibles Verständnis, nicht nur die von Aachen/Reims und Konstantinopel, sondern auch die von Winchester, Peking und Bologna.

[Acta Organologica 31, 2009, 425-444]

 

Achim Seip

Synagogenorgeln aus der Werkstatt Furtwängler & Hammer (Hannover)

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte die Werkstatt Furtwängler & Hammer zu den größten deutschen Orgelbaubetrieben. Aufgrund ihrer Bekanntheit ist es nicht verwunderlich, dass auch einige Synagogengemeinden im nördlichen Deutschland diese Firma mit dem Bau von Orgeln beauftragten.
Nach einer baulichen Erweiterung der zwischen den Maschstraßen gelegenen Synagoge in Göttingen lieferten Furtwängler & Hammer 1896 eine neue Orgel mit zwei Manualen, Pedal und elf Registern, die oberhalb des Thora-Schreins aufgestellt wurde.
1898 wurde eine Orgel mit vier Registern für die Synagoge in der Lessingstraße in Wolfenbüttel installiert.
Die für den Friedenstempel (Privatsynagoge) in Berlin-Wilmersdorf (Halensee) 1923 gelieferte Orgel war nach dem Oskalyd-System [Multiplex] mit 15 Grundregistern gebaut worden. Das Instrument funktionierte nie störungsfrei. Auch der Umbau von 1924 änderte daran nichts, was zu nachhaltigen Verstimmungen zwischen der jüdischen Gemeinde und der Firma Furtwängler & Hammer führte.
Die Disposition der 1928 für die Synagoge in der Unteren Königstraße in Kassel gebauten Orgel (III/40 + 1 Transmission) war bereits von der Orgelbewegung beeinflusst. Das Werk wurde am 20. September des gleichen Jahres von Günter Ramin aus Leipzig geprüft und zur Abnahme empfohlen.
Der Bau einer neuen Orgel (I/6) im Jahr 1931 für den Jacobson-Tempel in Seesen (Harz) konnte durch Sponsoren aus den USA realisiert werden, die sich zuvor auch an den Kosten für die bauliche Instandsetzung des Gebäudes beteiligt hatten.
Alle genannten Instrumente wurden in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört.

[Acta Organologica 31, 2009, 329-346]

 

Manfred Wittelsberger

Kirchenorgeln in Mainz - eine Bestandsaufnahme

Unübersehbar erhebt sich der Bau des Mainzer St. Martins-Domes mit seinen vier Türmen und zwei Kuppeln. Er ist die älteste romanische Kirche am Rhein und das Wahrzeichen der Stadt, die als römisches Legionslager gegründet wurde, dann Hauptstadt der römischen Provinz Germania superior und schließlich erster und vornehmster Bischofssitz im Heiligen Römischen Reich. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts prägten vor allem Kurfürsten und Erzbischöfe das Stadtbild, mit dessen mehrfachem Wandel im 19. und 20. Jahrhundert sich auch der Orgelbestand änderte. Viele Gebäude und die darin stehenden Instrumente fielen Kriegshandlungen – erstmals 1793, danach während des Zweiten Weltkriegs – zum Opfer. Allein während des schwersten Luftangriffs auf Mainz am 27. Februar 1945 wurden 61 % der Bausubstanz – in der Innenstadt sogar 80 % – zerstört. Heute gibt es im Mainzer Stadtgebiet über 80 Orgeln, von denen 70 nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden.
Der Artikel bringt zunächst eine kurze Geschichte der Orgelbauer in Mainz ab dem 17. Jahrhundert. Es folgt der Hauptteil mit der Beschreibung von 83 Orgeln in den 15 Mainzer Stadtteilen. Die drei rechtsrheinisch gelegenen Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim wurden 1945 von der amerikanischen Militärregierung abgetrennten. Sie werden heute von Wiesbaden verwaltet, gehören aber de facto immer noch zu Mainz. Im Anhang finden sich 21 Dispositionen untergegangener Instrumente. Eine chronologische Übersicht aller vorhandenen Instrumente und eine alphabetische Auflistung deren Erbauer beschließen den Beitrag.

[Acta Organologica 31, 2009, 15-86]