Veröffentlichungen

ACTA ORGANOLOGICA 30 - Kurze Zusammenfassungen

Christian Binz

Die Orgelakten des Amtes Wiebelsheim

Das Landeshauptarchiv Koblenz enthält im Archivalienbestand des ehemaligen Amtes Wiebelsheim [eine kleine Verwaltungseinheit, aus wenigen Orten bestehend] Akten über den Bau der ersten Orgeln in den katholischen Kirchen aller fünf Gemeinden, die zu diesem Territorium gehörten:

Caspar Zumsande (Höhr-Genzhausen) baute 1862/63 eine Orgel (II+P/18) für Damscheid, die 1957 durch ein Harmonium und 1982 durch eine Orgel von Hugo Mayer (Heusweiler) ersetzt wurde.

In Oberwesel-Dellhofen wurde 1876 eine Orgel (II+P/13) von Johann Schlaad (Waldlaubersheim) angeschafft. Sie blieb bis zum Kirchenneubau 1961 erhalten.

Um den Orgelneubau in Oberwesel-Langscheid bewarben sich Johann Schlaad (Waldlaubersheim), J. Bach (Kamp-Bornhofen), Ludwig Hünd (Linz am Rhein) und Franz Wilhelm Sonreck (Köln). Den Aufrag erhielt Hünd (I+P/8). Die Orgel wurde 1862 fertiggestellt. 1958 musste sie einem Neubau von Walter Seifert (Köln) weichen.

Der Plan des Oberweseler Organisten Flory für die erste Orgel in Perscheid wurde mit einigen Änderungen 1848-49 von Johann Schlaad (Waldlaubersheim) verwirklicht (II+P/16). Die Orgel ist verändert erhalten. 1999 wurde von der Orgelmanufactur Vleugels (Hardheim) ein erster Renovierungsabschnitt ausgeführt.

In Wiebelsheim baute 1870-72 Peter Kessler (Kisselbach) eine neue Orgel (II+P/18), die 1979 von der Firma Oberlinger (Windesheim) restauriert wurde.

[Acta Organologica 30, 2008, 243-254]

 

Felix Friedrich

Adam Gottlob Casparini und Tobias Heinrich Gottfried Trost. Geselle und Lehrmeister

Während seiner Lehr- und Gesellenjahre arbeitete Adam Gottlob Casparini in den Jahren 1736 und 1737 bei Tobias Heinrich Gottfried Trost in Altenburg. Im Auftrag von Trost baute er damals die Orgel in Lucka um und war außerdem Mitarbeiter beim Bau der Altenburger Trost-Orgel.

Der Beitrag analysiert das vorhandene Aktenmaterial über diese kurze Altenburger Episode im Leben von Casparini und beschreibt das spannungsgeladene Verhältnis dieser beiden Orgelbauer, das nicht nur von gegensätzlichen Ansichten über orgelbauliche Details, sondern auch von Konkurrenzdenken bestimmt war. Außerdem geht es um die sehr kritischen Aussagen von Casparini über die Trostsche Bauweise und die Konzeption der Orgel in der Schlosskirche zu Altenburg. Der Umbau der Orgel in Lucka wird anhand der vorhandenen Dispositionen ausführlich beschrieben.

[Acta Organologica 30, 2008, 67-72]

 

Rimantas Gučas

Die Orgelbautradition Königsberg - Vilnius

Die früheste Erwähnung der Orgel im Baltikum stammt aus dem Jahr 1333, als man bei der Planung des Doms von Königsberg auch eine Orgel auf dem Lettner vorsah. Im Jahre 1408 schickte der Hochmeister des Deutschen Ordens an die Frau des Großfürsten Vytautas von Groß-Litauen ein Clavichord und ein "Portativ". Litauen wies zu Beginn des 16. Jahrhunderts bereits 113 Kirchen auf und in der litauischen Sammung von Gesetzen (1529) sind neben Goldschmieden auch Orgelbauer genannt. Trotzdem finden sich vorerst nur wenige Nachrichten über Orgelbauer und Orgeln.

Im Jahre 1534 fertigte Urban Neidenberg für Fürst Georgio Radvil ein Positiv mit Pedal. Der preußische Herzog Albrecht bat daraufhin den Fürsten, er möge ihm Neidenberg zur Reparatur der Orgel im Schloss zu Königsberg schicken.

Die erste bedeutende Orgel Litauens wurde in den Jahren 1595-96 von Johann Koppelmann aus Danzig für die Kathedrale der Hauptstadt Vilnius erbaut. 1614 lieferte ein unbekannter Meister eine Orgel für die Bernhardinerkirche zu Vilnius (II/29, mit beweglichen Figuren am Gehäuse). In den Anfang des 17. Jahrhunderts fiel auch die Aufstellung einer Orgel aus Königsberg in der Franziskanerkirche Kretinga (II/36), die erst im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Ab dem Ende des 16. Jahrhunderts waren Mitglieder der Orgelbauerfamilie Wendt für fast hundert Jahre im Baltikum tätig.

Im 18. Jahrhundert mehrten sich die Kontakte zwischen den Orgelbautraditionen von Litauen, Preußen und Kurland. Das Positiv in der Franziskanerkirche Kretinga - das älteste in Litauen erhaltene Orgelinstrument - wurde vermutlich noch in 17. Jahrhundert von einem preußischem Meister erbaut und im Jahre 1744 umgebaut. In der katholischen Dorfkirche zu Adakavas steht ein aus Königsberg stammendes Positiv vom Ende des 18. Jahrhunderts. Johann Preuss lieferte 1785 die Orgel in Kretinga/Crottingen. Georg Adam Neppert baute die Orgel in Griškabūdis (1804).

1736 ließ sich Gerhardt Arend Zelle aus Königsberg in Vilnius nieder und entwickelte sich zu einem produktiven und einflussreichen Orgelbauer. Als Schüler von Georg Siegmund Caspari verband er die Königsberger Tradition mit jener von Vilnius. Sein Schüler Nicolaus Jantzen wurde zum bekanntesten litauischen Orgelbauer der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Typisch für Litauen sind um diese Zeit zweimanualige Orgeln ohne Pedal.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind allerdings die meisten litauischen Orgeln anonym. Obwohl sie von verschiedenen Orgelbauern stammen, finden sich zahlreiche einander sehr ähnliche Prospekte. Man kann daher von einer "Schule von Vilnius" sprechen, die bis zum Anfang des 19. Jahrhundert eng mit der Königsberger Tradition verbunden war. Charakteristisch sind die vielen 4'-Register in den Dispositionen sowie "Jula", Unda Maris, Pauken und Cymbelstern.

Adam Gottlob Casparini hat im Großfürstentum Litauen wenigstens drei Orgeln erbaut, darunter jene in der Hl.-Geist-Kirche zu Vilnius, die in weitgehend originalem Zustand erhalten ist. Dieses Instrument zeugt vom hohen Niveau des damaligen Königsberger Orgelbaus, der auch den Orgelbau der Nachbarländer stark beeinflusst hat.

[Acta Organologica 30, 2008, 35-66]

 

Max Reinhard Jaehn

1804 - 1953 - 2005: 200 Jahre Orgelforschung und 50 Jahre Orgelrestaurierung in Mecklenburg

Im Jahre 1804 beendete der Schweriner Organist und Musiksammler Johann Jacob Heinrich Westphal eine Sammlung von Orgeldispositionen und Orgelnachrichten. Dies gilt als der Beginn der Orgelforschung in Mecklenburg.

Für die nachfolgenden 200 Jahre werden weitere wichtige Forscher dargestellt: Julius Massmann, Karl Schmaltz, Walter Haacke, Karl Eschenburg, Georg Gothe und viele andere. Der Beginn der Orgelrestaurierung im heutigen strengen Sinne ist in Mecklenburg auf das Jahr 1953 anzusetzen, als die Orgel in Dreilützow nach den Grundsätzen der Denkmalpflege wiederhergestellt wurde.

Erst in den 1980er Jahren erfuhren Forschung und Restaurierung eine Wiederbelebung, was neue Impulse für das in der kirchenfeindlichen DDR benachteiligte Orgelwesen mit sich brachte. Nach der deutschen Wiedervereinigung waren die Voraussetzungen für ein Aufblühen von Orgelpflege und Orgelrestaurierung gegeben, zuletzt mit einer Reihe von Projekten in den Jahren 2000 bis 2005, die durch Stiftungen gefördert wurden. Diese Erfolge erwuchsen aber nicht nur aus den nun fließenden Geldmitteln, sondern ebenso aus den Leistungen der Forscher und der sinnvollen Nutzung der Ergebnisse ihrer Arbeit.

[Acta Organologica 30, 2008, 355-384]

 

Jan Janca / Hermann Fischer

Adam Gottlob Casparini (1715 - 1788)

Adam Gottlob Casparini wurde am 15. April 1715 als Sohn von Adam Orazio Casparini in Breslau geboren. Die Lehre absolvierte er bei seinem Vater. Von 1735 bis 1737 arbeitete er bei Tobias Heinrich Gottfried Trost in Altenburg (Thüringen) und danach wieder als Gehilfe seines Vaters. Nach dem Tode seines Vetters Georg Siegmund Caspari in Königsberg (1741) bewarb er sich dort um das Privileg des Hoforgelbauers, das ihm 1742 erteilt wurde. Er starb am 17. Mai 1788 in Königsberg.

Das gesamte OEuvre von Adam Gottlob Casparini kann auf etwa 45 Orgelneubauten (ohne Umbauten und Reparaturen) beziffert werden, davon sind 43 sicher belegt, von diesen wiederum sechs in Königsberg. Vollständig erhalten ist noch die Orgel in Vilnius (Litauen), Hl. Geist. In Teilen sind erhalten die Orgeln in Mühlhausen, Leunenburg und Barten im heutigen Polen. Manche Instrumente verbrannten, viele wurden Opfer von Zeitgeist und technischem Fortschritt (dem wir wenigstens die Fotografien einiger historischer Prospekte verdanken). Den Restbestand vernichtete der Zweite Weltkrieg weitgehend.

Im Gegensatz zu seinem Vater Orazio war Adam Gottlob Casparini ein geschäftstüchtiger Orgelbauer, der seinen Konkurrenten das Leben schwer machte, seine Kontrakte nach einem Einheitstext unpräzise formulierte, um Nachforderungen für "zusätzliche Arbeiten" zu erheben. Handwerklich gilt er als guter Orgelbauer, der sauber arbeitete, auf bestes Material Wert legte und entsprechend teuer war.

Die Dispositionen der ein- und zweimanualigen Werke Casparinis werden mit ausgewählten Beispielen vergleichend analysiert: Registerzahl, Principal- und Flötenchor (die "Unda maris" ist ein typisches Leitmotiv), Pedalregister und Zungenstimmen. Charakteristisch sind auch die verschiedenen Bezeichnungen der Flöten sowie die nicht eindeutig geklärte Stimme "Jula". Tremulant und ein oder zwei Zimbelsterne gehören zum regulären Bestand, häufig auch Registertrakturen und Registerzüge aus Eisen. Von elf Orgelprospekten Adam Gottlob Casparinis sind Abbildungen erhalten. Aus ihnen lassen sich fünf Typen ableiten, soweit dies bei der begrenzten Anzahl überlieferter Beispiele möglich ist.

[Acta Organologica 30, 2008, 73-88]

 

Wolfgang Lindner

Eine historische Robson-Orgel in St. Petersburg (Russland)

Die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Salon-Orgel stand etwa 150 Jahre im Musikzimmer einer privaten Residenz in Warren (Herkimer County, NY, USA), bis sie Ende der 1990er Jahre nach St. Petersburg (Russland) transferiert wurde.

Eine Autopsie des Instruments in St. Petersburg ergab: Es handelt sich um eine englische Chamber barrel & finger organ, gegen Ende der 1840er Jahre erbaut von Joseph Robson & Son, London. Den Namen der Firma erbrachte eine Inschrift auf dem Walzenmechanismus. Der gegenwärtig nicht funktionierende Spielapparat muss noch restauriert werden.

Der Artikel bietet außerdem einen kurzen Überblick über die Geschichte und die Aktivitäten der Familie Robson und stellt einige der von dieser Familie erbauten Instrumente in Dispositionsbeispielen vor.

[Acta Organologica 30, 2008, 313-330]

 

Uwe Pape

Die Orgeln des Herzogtums Braunschweig vor 1810

Das 1432 bis 1754 bestehende Herzogtum Braunschweig-Lüneburg zerfiel durch Erbteilung in verschiedene Teilstaaten, unter denen sich schon früh das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel herausbildete, das im 15./16. Jahrhundert etwa dem späteren Herzogtum Braunschweig entsprach. Allerdings ging es durch die napoleonische Besetzung zum 28. Oktober 1806 verloren und wurde am 9. Juli 1807 zum Königreich Westfalen geschlagen, dem es bis 1813 angehörte.

Auf Beschluss des Wiener Kongresses wurde in den alten Grenzen des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel das Herzogtum Braunschweig errichtet. Es bestand aus mehreren, nicht zusammenhängenden Teilen: 1. das Gebiet zwischen der Aller und dem Harz mit Braunschweig; 2. das Gebiet zwischen Harz und Weser mit Holzminden; 3. Blankenburg am Harz mit seiner Umgebung; 4. das Amt Calvörde (eingeschlossen von der Provinz Sachsen); 5. das Amt Thedinghausen zwischen Bremen und Verden gelegen; 6. der Marktflecken Bodenburg mit dem Dorf Oestrum (Amt Gandersheim); 7. das nördlich von Goslar gelegene Dorf Ostharingen (Amt Lutter am Barenberge); 8. das südlich von Peine gelegene und zum Amt Vechelde gehörende Dorf Oelsburg.

1918 entstand der Freistaat Braunschweig, der wie das Herzogtum Gliedstaat des Deutschen Reiches war. 1942 erfolgte ein Gebietsaustausch des Landkreises Holzminden gegen den Landkreis Goslar mit den Städten Goslar und Salzgitter der preußischen Provinz Hannover und einiger vereinzelter Ortschaften. Hierdurch entstand eine stärker zusammenhängende Gebietsstruktur.

Die 1528 in der Stadt Braunschweig und 1568 im Land Braunschweig eingeführte Reformation bestimmte die geschichtliche Entwicklung des Herzogtums bis in die heutige Zeit. So ist das Gebiet der „Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig" mit Sitz in Wolfenbüttel mit dem Land Braunschweig seit 1942 weitgehend identisch.

Über die Jahrhunderte hinweg hat sich in Braunschweig eine Orgelkultur entwickelt, die in der Renaissance mit Namen wie Compenius, Gottfried Fritzsche und Jonas Weigel verbunden ist und in der Barockzeit mit Meistern wie Friedrich Besser, Otto Eilhard Bothienter, Johann Andreas Graff, Abraham Sidekum, Johann Ferdinand Hüsemann und seinen beiden Söhnen.

In dem hier vorgelegten Beitrag wird die Geschichte aller vor 1810 entstandenen Orgeln des Landes Braunschweig in den Grenzen von vor 1810 dargestellt.

[Acta Organologica 30, 2008, 89-242]

 

Friedrich Wilhelm Riedel

Zur Geschichte der Physharmonika. Ein Instrument von Jacob Deutschmann im Benediktinerstift Göttweig

Das Benediktinerstift Göttweig (Niederösterreich) besitzt eine Physharmonika aus der Zeit um 1840 von dem bedeutenden Wiener Orgelbauer JacobDeutschmann (1795-1853). Sie besteht aus einer einzigen Reihe durchschlagender Zungen, deren Klang durch die Windzufuhr von zwei Bälgen mit den Füßen erzeugt und in stufenloser Expressivität gesteuert wird. Durch Gebrauch der Oktavkoppeln und Öffnung des Resonanzraums lassen sich zusätzlich unterschiedlich starke dynamische Stufen erzeugen. Eine zeitgenössische Beschreibung der Konstruktion, Behandlung und Spieltechnik stammt von dem Wiener Pianisten Johann Promberger (1819 - nach 1849). Verwendet wurde die Göttweiger Physhamonika vor allem als Ersatz der Blasinstrumente bei der Aufführung von Kirchenmusik, Opern- und Oratorien mit kleinerem Instrumentalensemble. Dank seines großen Klangvolumens konnte das Instrument allein auch bei Gottesdiensten in der Kirche verwendet werden.

[Acta Organologica 30, 2008, 385-408]

 

Achim Seip

Synagogenorgeln aus der Werkstatt Steinmeyer (Oettingen)

Wie nahezu alle bedeutenden deutschen Orgelbauer im 19. und frühen 20. Jahrhundert, baute auch die Werkstatt Steinmeyer (Oettingen) Orgeln für liberale Synagogengemeinden, die in großen Städten ansässig waren.

In Berlin existierten zwei Synagogenorgeln von Steinmeyer. Bei dem Instrument der Synagoge in der Johannisstraße von 1913 (II+27) handelte es sich um einen Umbau der ursprünglich von Carl August und Carl Friedrich Buchholz (Berlin) im Jahr 1854 gefertigten Orgel.

Die Orgel von 1930 in der Synagoge in der Prinzregentenstraße im Stadtteil Wilmersdorf war mit ihren 65 Registern, verteilt auf drei Manuale und Pedal, eine der größten Synagogenorgeln Berlins.

Die Orgel der Synagoge in München, Herzog-Max-Straße, wurde 1929 vollendet (III/33). Die Disposition war weitgehend nach den Vorschlägen des in der Gemeinde amtierenden Organisten und Komponisten Heinrich Schalit realisiert worden.

In der liberalen Synagoge in Nürnberg am Hans-Sachs-Platz stand ursprünglich eine 1874 von Georg Friedrich Steinmeyer gebaute Orgel (II/29) mit einem markanten Prospekt im maurischen Stil. Das Instrument wurde 1911 von der Firma Strebel umgebaut und 1938 von der Firma Bittner in die katholische Kirche St. Karl Borromäus in Nürnberg-Mögeldorf transferiert. Dieses Instrument wurde 1964 durch einen Neubau von Steinmeyer ersetzt.

Die Orgel für Odessa (Ukraine) von 1902 (II/16 + 1 Transmission) wurde in der Synagoge des "Selbsthilfevereins der jüdischen Handlungsgehilfen" aufgestellt.

Die beiden Berliner Orgeln wurden in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 vernichtet. Die genannten Synagogen von München und Nürnberg wurden 1938 bereits vor der Pogromnacht abgerissen. Während die Nürnberger Orgel in veränderter Form noch bis 1964 existierte, wurde die in die kath. Kirche St. Korbinian in München-Sendling transferierte Orgel aus der Synagoge in der Herzog-Max-Straße bei einem Bombenangriff am 12. Juli 1944 zerstört. Die Orgel von Odessa wurde entweder schon während der Pogrome von 1905 oder zwischen 1918 und 1920 im Bürgerkrieg vernichtet. Unter der kommunistischen Herrschaft nach 1920 wurden in Odessa nahezu alle Synagogen geschlossen und nach der Plünderung des Inventars profaniert.

[Acta Organologica 30, 2008, 255-288]

 

Alex Shinn

Twist of Fate - Das Schicksal der College-Orgeln in Cambridge und Oxford vom Bildersturm bis zur Restauration (1536-1660)

Im 16. Jahrhundert befand sich die mehrstimmige Kirchenmusik und mit ihr die Orgeln in den Kathedralen und Collegekirchen in ganz England auf dem Höhepunkt, besonders an den Universitäten von Cambridge und Oxford. Als jedoch Luthers Lehre über Cambridge nach Oxford gelangt war und deutlich wurde, dass die Kirche der Veränderung bedurfte, kam es zu politischen und religiösen Ausbrüchen mit schlimmen Folgen für die Kirchenmusik und die Orgeln. Die Suprematsakte Heinrichs VIII. (1534), die Dissolution Acts (1536 und 1539) sowie die neue Liturgie und die Einführung der Great Bible (1539) zusammen mit Thomas Cranmer, dem Erzbischof von Canterbury, hatten schwerwiegende Folgen. Mit der Trennung von Rom, der Aufhebung und Enteignung von Klöstern und religiösen Stiftungen, dem Ausschluss lateinischer Riten und der Verbreitung des English Prayer Book ging eine wachsende Antipathie gegen Orgeln einher. Den 1535 in wenigstens 13 Colleges zu Oxford und Cambridge vorhandenen Orgeln stand durch die den Universitäten vom jungen Eduard VI. und seinen Ministern auferlegten Beschränkungen (besonders jenen von 1549) Schlimmes bevor. Sie wurden in Oxford am Magdalen College (1549) beschädigt, am All Souls (1549) und am New College (1548) offensichtlich versteckt, am Exeter College (1553) verkauft oder wie in Cambridge in den Colleges King’s, Christ’s, St. John’s, Queen’s und Trinity zumindest zum Schweigen gebracht.

Unter Eduard VI. hatten sich die Katholiken in dunkle Winkel und Höhlen verkrochen. Als 1553 Maria I. den Thron bestieg, traten sie aus den Schatten wieder ans Licht und mit ihnen auch die Chöre und Orgeln an den Colleges. Die neue Blüte währte aber nur kurz, und im erneuten Auf und Ab von pro und contra gerieten die Orgeln während des "Elisabethanischen Ausgleichs" wieder unter Beschuss. Die strengere puritanische Ordnung führte dazu, dass College-Orgeln in Oxford am Trinity College ausgerottet (nach 1566) sowie im All Souls (1561), Merton (1567), New College (1571) und Corpus Christi (1575) entfernt wurden, ebenso am King’s College in Cambridge (1570).

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts manifestierte sich eine wachsende Toleranz gegenüber der Musik, und man setzte sich besonders in Oxford für Chöre und Orgeln ein. Während die Calvinisten im Parlament die Verbannung der Musik aus der Liturgie vorantrieben, betonten in Oxford veröffentlichte Schriften wie The Praise of Musicke (1586), Apologia Musices (1588) und Laws of Ecclesiastical Politie (1596) deren Unentbehrlichkeit. Noch wichtiger: In den 1590er Jahren kamen mit den Lehren des niederländischen Theologen Jacobus Arminius (1560-1609) - die zu Grundsteinen der High-Church-Bewegung in England wurden - Strömungen auf, die die Calvinisten nicht nur beim Thema Prädestination herausforderten, sondern auch für eine prorömische Liturgie mit viel Musik eintraten. Als sich Collegeleiter wie William Laud (1611-21 Präsident des St. John’s College in Oxford) zur arminischen Lehre bekannten, öffnete sich den Orgeln wieder ein Weg. Einen Höhepunkt im englischen Orgelbau nach 1600, besonders an den Universitäten, bildete die glanzvolle Reihe der Orgeln von Thomas Dallam und seines Sohnes Robert. Den Buchhaltungsunterlagen zu Thomas Dallams prächtiger Orgel, die das King’s College in Cambridge 1605 erwarb, verdanken wir die erste Beschreibung des Baus einer englischen Orgel. Ab 1605 und insbesondere nach Lauds Ernennung zum Erzbischof von Canterbury (1633) kam der Triumph der Arminier in der Gestalt von Orgeln in mindestens fünf Colleges in Oxford und deren sieben in Cambridge zum Ausdruck, unter ihnen ein Instrument Thomas Dallams von 1617/18 im Corpus Christi Oxford, von dem hier erstmals berichtet wird.

Während die High-Church-Bewegung in den 1630er Jahren ihrem Zenit zustrebte, begann das - besonders hinsichtlich liturgischer Musik und Orgeln - übertriebene Zeremoniell von Collegeleitern wie John Cosin (1634-44 Master am Peterhouse in Cambridge) die puritanischen Gemüter zu erhitzen. In der Folge fielen im Bürgerkrieg Oliver Cromwell und Bilderstürmer wie William Dowsing derart über die Universitäten her, dass keine einzige Orgel in einer Collegekirche an ihrem Platz verblieb. Obwohl Puritaner wie Cromwell Orgeln im weltlichen Umfeld wie etwa am Hampton Court Palace tolerierten und sogar schätzten, wurde Orgelmusik im Gottesdienst allgemein zunehmend verabscheut. Während des Interregnums kam der Orgelbau in England zum Erliegen und erwachte erst nach der Restauration der Monarchie (1660) zu neuem Leben. Es ist beklagenswert, dass die Anfang des 17. Jahrhunderts in England gebauten Instrumente heute nur noch in Form von Buchhaltungseinträgen existieren. Als einzige bedeutende Teile einer College-Orgel aus der Zeit vor 1660 sind Gehäuse und Gestühl der "Milton-Orgel" auf uns gekommen, die Robert Dallam 1631 für das Magdalen College baute. Das Hauptgehäuse befindet sich in der Tewkesbury Abbey in Gloucestershire, das Gehäuse des Rückpositivs in der Kirche St. Nicholas in Stratford-on-Avon in Northhamptonshire - betrübliches Erbe einer der turbulentesten Phasen in der Geschichte der englischen Kirchenmusik.

[Acta Organologica 30, 2008, 11-34]

 

Franz-Josef Vogt

Zerstört und vergessen. Von unbekannten Kölner Orgeln

Kriege bringen es mit sich, dass nicht nur Menschenleben zu beklagen sind, sondern auch Kulturgüter unterschiedlichster Art unwiederbringlich vernichtet werden. Dass dazu auch eine Vielzahl von im Zweiten Weltkrieg zerstörten Orgeln gehört, soll hier an einigen Beispielen aus der Stadt Köln belegt werden. Das ganze Ausmaß der Verluste wird erst deutlich, wenn man die 1944 angelegten "Meldebögen für Orgeln" durchsieht, die bereits während des Krieges allzu oft nur lapidar "zerstört", "verbrannt" oder "erheblich beschädigt" vermerken. Dass auch nach Kriegsende wegen der vorherrschenden "orgelbewegten" Tendenzen noch viele Instrumente, die es eigentlich verdient hätten, erhalten zu bleiben, aus ideologischer Einseitigkeit vernichtet worden sind, macht nachdenklich.

[Acta Organologica 30, 2008, 289-312]

 

Ulrich Zimmerle

Orgelgeschichte der Pfarrkirche St. Maria zu Stuttgart

Die neugotische Pfarrkirche St. Maria, erbaut 1871-1879, ist die erste neu erbaute katholische Kirche Stuttgarts nach der Reformation. Zur Einweihung erhielt sie eine zweimanualige Orgel der Firma E. F. Walcker & Cie. (Ludwigsburg) mit 25 Registern auf mechanischen Kegelladen. Nach 50 Jahren wurde das Instrument durch die Firma Gebr. Späth aus Ennetach-Mengen (Allgäu) auf drei Manuale mit fast doppelter Registerzahl erweitert und auf elektrische Spiel- und Registertraktur (Kegelladen) umgestellt. Dabei wurde unter dem Einfluss der Orgelbewegung der ursprüngliche grundtönige Registerbestand der Walcker-Orgel durch helle Mixturen, Aliquotstimmen und Zungenregister ergänzt. Im Juli 1944 wurde diese Orgel durch eine Bombe total zerstört.

Nach dem Wiederaufbau der schwer beschädigten Kirche erfolgte im Jahre 1954 der Bau einer neuen auf 4 Manuale und Pedal und 60 Stimmen konzipierten Orgel der Firma Albert Reiser (Biberach), ein Instrument im Sinne der Orgelbewegung mit Schleifladen und elektropneumatischer Spiel- und Registertraktur - aus finanziellen Gründen allerdings zunächst nur als Teilbau mit 2 Manualen und Pedal. Zehn Jahre später folgte noch ein drittes Manual. Zur endgültigen Fertigstellung nach den ursprünglichen Plänen kam es jedoch nicht mehr.

Erst im Jahre 2002 erfuhr die Orgel durch die Firma Reiser eine umfassende technische Sanierung und wurde nach einem neuen Klangkonzept auf die ursprünglich geplante Größe ergänzt. Das bisherige eher scharfe und unausgewogene Klangbild wurde nun zu einem runderen und fülligeren romantisch-sinfonischen umgestaltet. Anstelle des zuvor nicht realisierten Rückpositivs wurde ein Unterwerk als neues zweites Schwellwerk eingebaut; das bisherige Brustwerk wurde zu einem Solowerk mit starken französischen Zungen umgestaltet. Die Manualwerke wurden durch zahlreiche neue Register ergänzt, vor allem im Bereich charakteristischer Zungen und Streicher. Die vorhandenen Register wurden zum Teil versetzt und umintoniert. Der neue Spieltisch ist mit allen modernen elektronischen Hilfsmitteln ausgestattet.

[Acta Organologica 30, 2008, 331-354]