Veröffentlichungen
ACTA ORGANOLOGICA 29 - Kurze Zusammenfassungen
Gerhard Aumüller / Friedhelm Brusniak
Die Orgelpraxis des 'Te Deum' mit Pauken und Trompeten und die Orgeln des 17. und 18. Jahrhunderts im hessisch-westfälischen Grenzbereich.
Zum 'Kasseler Te Deum' 1771
Der Nachweis einer deutschen Fassung des Te Deum („Herr Gott Dich loben wir“) im Kasseler Gesangbuch von von 1771 (Johannes Becker) ist der Anlass für eine kurze Übersicht über die Musizierpraxis des Te Deum in den westfälischen Klöstern Marienmünster, Neuenheerse und Corvey und der benachbarten hessischen Residenzstadt Kassel. Das Schwergewicht der Darstellung liegt auf dem Kloster Corvey und seiner von Andreas Schneider bis 1685 erbauten Orgel, deren Prospekt Reminiszenzen an das Instrumentarium des Te Deum mit Pauken und Trompeten aufweist. Im hessischen Kassel lassen sich im 18. Jahrhundert noch Aufführungen des Te Deum bzw. seiner deutschsprachigen Version in verschiedenen Besetzungsformen und mit Orgelbegleitung nachweisen.
Das hier beschriebene 'Kasseler Te Deum' von 1771 besteht in einer eigentümlichen Besetzung als Orgel-Choralsatz mit Zeilenzwischenspielen, die mit Pauken und Trompeten als "Echo"-Teile durchgeführt wurden. Es zeigt, wie mit einfachsten Mitteln die eingeschränkten modulatorischen Möglichkeiten von Pauken und Trompeten verwendet wurden, um die am Ende einer Choralzeile erreichte Tonart harmonisch zu akzentuieren und gleichzeitig die Ausstrahlung des Satzes als eine "solenne Festmusik" zu erreichen.
[Acta Organologica 29, 2006, 427-446]
Alexander Fiseisky
Die Geschichte der Orgel und Orgelmusik in Estland
Der früheste Beleg über das Vorhandensein von Orgeln auf estnischem Gebiet stammt aus dem Jahre 1329: Durch Kriegshandlungen wurden Orgeln in Paistu und Helme zerstört. 1341 wird ein Organist im Dienste einer Kirche in Tallinn erwähnt. Nach dem Brand vom 11. Mai 1433, der fast die ganze Stadt Tallinn zerstörte, wurde in der Nikolaikirche eine neue Orgel gebaut. Diese Arbeit führte der 'Orgelmaker' Albrecht aus. Das Instrument wurde 1489 von Hermann Stüwe aus Wismar umgebaut. Die Orgelbauer, die in dieser Epoche in Estland arbeiteten, stammten vorwiegend aus den Hansestädten Norddeutschlands.
Bereits im 15. und 16. Jahrhundert kamen in den Häusern von Adligen, wohlhabenden Bürgern und städtischen Beamten Positive in Mode.
Die wichtigsten Orgelbauer, die im 17. Jahrhundert in Estland arbeiteten, waren Johannes Pauli aus Riga, der Schwede Andres Bruse und vor allem der Lübecker Christopher Meinecke.
Als bedeutendster Orgelbauer im 18. Jahrhundert war Heinrich Andreas Contius tätig. Zwischen 1764 und 1771 baute er eine Orgel für die Olaikirche in Tallinn (III/P/60). Sein Schwiegersohn, Johann Andreas Stein (1752–1821), errichtete 1805 eine Orgel in der Kirche von Kihelkonna auf der Insel Saaremaa. Dieses Instrument mit seinem Prospekt im Stil des Spätrokoko ist heute die älteste erhaltene Kirchenorgel in Estland.
Wichtige Beiträge zur Entwicklung der Orgelkunst in Estland leisteten auch Erasmus Pogatz (16./17. Jh.), Christopher Asmes (1. H. des 17. Jh.), sowie Vertreter der musikalischen Dynastie der Busbetzkys (Ende des 17. Jh.).
Im 19. Jahrhundert bauten enthusiastische Autodidakten eine große Menge von Positiven, die in der Regel nur hölzerne Pfeifen enthielten. Orgeln größerer Ausmaße baute Carl Tanton. Gustav Normann (1825–1893), ein sehr produktiver Orgelbauer, war der Begründer der nordestnischen Orgelbauschule. Seine Nachfolger wurden Gustav Terkmann und dessen Sohn August (1885-1940), der in seinen Instrumenten pneumatische und elektropneumatische Trakturen verwendete. Sehr produktiv waren in Estland die großen deutschen Orgelbaufirmen, in erster Linie E. F. Walcker & Cie und W. Sauer , E. Ch. Lemke, Guido Knauf, Ernst Kessler, Wilhelm Müllverstedt und die Brüder Schwalbenberg.
Im 19. Jahrhundert gegründet, reichte die Werkstatt der Brüder Tannil, Juhan und Jakob Kriisa in das 20. Jahrhundert hinein. Ihre Tradition wirde heute von Hardo Kriisa (*1940), Vertreter der dritten Generation, fort.
Mit der Ausbreitung des evangelischen Bekenntnisses wurden im 16. Jahrhundert die Nikolai- und die Olaikirche in Tallinn die wichtigsten kulturellen Zentren. Lutherische Kirchenlieder bildeten die musikalische Grundlage der Liturgie.
Von den Musikern, die im 17. Jahrhundert in Estland tätig waren, muss vor allem der Kantor und Komponist Johann Valentin Meder (1649–1719) erwähnt werden. Herausragende Komponisten des 19. Jahrhunderts waren Johann Friedrich de La Trobe (1769–1845) und sein Schwiegersohn Woldemar von Bock (1816–1903).
1841 veröffentlichte der aus Sachsen stammende Johann August Hagen in Tallinn seine Lehre, wie Sangesleute, und wer sonst will, lernen kann, den Noten Gesangsweisen zu entnehmen, indem sie auf Hausorgeln spielen und dazu selbst wie auch gemeinsam mit ihren Schülern mit ihren Schülern singen.
Von der besonderen Stellung der Orgel in der Geschichte der estnischen Musikkultur spricht die Tatsache, dass praktisch alle bedeutenden estnischen Komponisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zugleich Organisten waren: Johannes Kappel, Konstantin Türnpu, Miina Härma, Rudolf Tobias, Artur Kapp, Mikhel Lüdig, August Topman, Mart Saar und Peter Süda. Alle waren Absolventen des Petersburger Konservatoriums. Von den estnischen Komponisten, die sich mit der westeuropäischen Musik des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt haben, seien Veljo Tormis , Eino Tamberg und Arvo Pärt genannt.
Die Jahrhunderte alte Tradition des Orgelspiels in Estland fand in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im Werk Hugo Lepnurms und seiner besten Schüler – Rolf Uusväli, Andres Uibo sowie Urmas Taniloo – ihren Niederschlag.
[Acta Organologica 29, 2006, 11-32]
Andreas Hahn
Die Gottfried-Silbermann-Orgel in der ev. Kirche zu Nassau (Erzgebirge)
Im Jahre 1745 wurde zwischen Gottfried Silbermann aus Freyberg und der Kirchgemeinde Nassau der Bau einer Orgel mit 19 Registern und zwei Manualen zum Preis von 740 Talern vereinbart. Die Abnahme erfolgte am 4. August 1748. Im Jahre 1807 führte Gotthelf Friedrich Jehmlich eine erste datierbare Reparatur durch. Abgesehen von dem 1960 erfolgten Einbau einer Pedalkoppel ist das Instrument ohne weitere Eingriffe in die technische Substanz erhalten geblieben. 1998 erfolgte eine grundlegende Restaurierung. Bei dieser wurden erstmalig die Windladen aus ihren Lagern gehoben. Die Beutelpulpeten wurden erneuert, die Kanzellen ausgeleimt und die Ventilschwänze im Pedal wieder eingerichtet. Das sehr dünnwandige Pfeifenwerk wurde restauratorisch überarbeitet. Von den 1110 Pfeifen, einschließlich 27 stummen Prospektpfeifen, sind 1084 Stück ( = 97,66 %) im Original erhalten. 26 Metallpfeifen wurden rekonstruiert. Die beiden Keilbälge wurden restauratorisch überarbeitet. Sie wurden über einen Sammelkanal miteinander verbunden, so dass mittels eines neu installierten elektrischen Motorgebläses beide Bälge mit Wind versorgt werden. Ein Ansaugkanal wurde ins Innere der Orgel gelegt. Der Winddruck wurde nachweislich im Laufe der Geschichte mehrfach durch Herabsetzten bis auf 65 mm WS verändert. Er wurde nach Versuchen am Pfeifenwerk auf 85 mm WS erhöht. Mit dem Ziel, Spuren einer möglicherweise zu rekonstruierenden historischen Orgeltemperatur ausfindig zu machen, wurden Tonhöhenmessungen an mehreren Registern durchgeführt. Diese führten zu keinem aussagefähigen Ergebnis. Als Temperierungsart wurde deshalb eine nach heutiger Terminologie als „wohltemperiert“ zu bezeichnende Temperatur gewählt.
Die Charakteristik der verwendeten musikalischen Temperatur zeigt sich darin, dass sie über zwei reine Quinten, cis/gis und es/b, verfügt und keine ausgesprochene Wolfsquinte aufzuweisen hat. 9 Quinten verfügen über eine Schwebungsfrequenz von -1,7 Hz, die verbliebene Quinte gis/es schwebt mit -1,2 Hz. Die Stimmtonhöhe a° im Register Octava 4' beträgt bei 15° C 469 Hz. Sie entspricht der damals üblichen Chortonstimmung. Um in Zukunft das Pfeifenwerk nicht unnötig durch Stimmarbeiten zu belasten, wurden im Bedarfsfall bei 152 Pfeifen selbsthaltende Stimmringe aus Neusilber und Edelstahl gesetzt.
[Acta Organologica 29, 2006, 83-108]
Max Reinhard Jaehn
„Motorhaube, Kofferraum, Tankdeckel“.
Als BRD-Orgelforscher in der DDR
In den Zeiten der Teilung Deutschlands in zwei Staaten (1949-1990) war es äußerst erschwert, als Bürger des westlichen Staates ("BRD" = Bundesrepublik Deutschland) in den östlichen Staat ("DDR" = Deutsche Demokratische Republik) zu reisen oder gar dort zu arbeiten. Erst seit dem Grundvertrag von 1973 war ein immer noch eingeschränktes, aber erleichtertes Reisen über die deutsch-deutsche Grenze hinweg möglich, das z. B. auch den Zutritt zu Archiven erlaubte. Als gebürtiger Mecklenburger konnte ich so über ein knappes Jahrzehnt Forschungsarbeiten in der heimatlichen Orgellandschaft Mecklenburg durchführen. Die dafür aufzuwendenden Mühen und Zwänge zur Lösung anderswo unbekannter alltäglicher Probleme werden hier dargestellt. Sie dokumentieren eigentümliche, teils groteske und heute der historischen Vergessenheit entgegenwandernde Erlebnisse in einem über Jahrzehnte bestehenden, dann aber von der Geschichte beendeten unnatürlichen Zustand eines ganzen Landes.
[Acta Organologica 29, 2006, 373-386]
Max Reinhard Jaehn
Mecklenburgs Orgel-Denkmalaufnahme von 1926:
Nachträge zu Erwin Zillinger und Hans Henny Jahnn
Eine landesweite Umfrage nach erhaltenen Orgeln aus der Zeit vor 1800 wurde für Mecklenburg in der ersten Jahreshälfte 1926 durch den Oberkirchenrat in Schwerin durchgeführt. Sie ist als wichtige Quelle vollständig erhalten und hat seit 1933/34 (Walter Haacke) der Forschung gedient. Ihr Initiator war Erwin Zillinger, der jedoch an der Durchführung oder einer Auswertung keinen Anteil nahm. Ab Sommer 1926 (Orgeltagung in Freiburg) kamen dann Orgel-Denkmalerhebungen in ganz Deutschland in Gang.
Undurchschaubar war bisher die Rolle von Hans Henny Jahnn als Erforscher von Denkmalorgeln in Mecklenburg. Seine wiederholten Aussagen in dieser Richtung halten einer Überprüfung durch das in reichem Maße vorhandene Archiv- und Nachlassmaterial nicht stand. Auch Jahnns Aussagen über die Bützower Orgel, die in seiner Jugend prägende Eindrücke hinterlassen hat, erweisen sich heute als fehlerhaft und unzuverlässig.
[Acta Organologica 29, 2006, 387-434]
Martin Kares
Die 1935 erbaute Steinmeyer-Bartning-Orgel der Markuskirche Karlsruhe
Eine der wenigen Kirchen von Karlsruhe, die den Krieg überstanden haben, ist die 1935 durch den Architekten Otto Bartning erbaute Markuskirche. Dieser entwarf auch den Orgelprospekt, den er in dem von ihm entwickelten strukturellen System der Kirche anordnete. Dies führte dazu, dass die von G. F. Steinmeyer in Oettingen mit 37 Registern erbaute Orgel 14,30 m breit, aber nur 1,10m tief wurde. Im Prospekt werden Pfeifen von Prinzipalbaß 16´, Prinzipal 8´ und Stillposaune 16' von zwei Schwellwerkgehäusen (ohne Prospektpfeifen) eingerahmt.
Die Disposition hat der Orgelsachverständige Dr. Walter Leib aus Heidelberg entworfen. Es ist bemerkenswert, wie gut hier die Kombination einer hochromantischen Basis mit neobarocken Additionen funktioniert. Die Grundstimmen erlauben im Zusammenspiel mit den Oktavkoppeln und den Schwelleinrichtungen charaktervolle Klangfarbenmischungen und Crescendoeffekte von pp bis ff, welche eine Wiedergabe der Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ermöglichen. Die hohen Klangkronen, Aliquotregister und kurzbechrigen Zungen in den Schwellwerken verwandeln diese in zwei frühbarocke Positiv-Teilwerke, die hervorragend mit dem Hauptwerk kommunizieren.
[Acta Organologica 29, 2006, 231-236]
Christhard Kirchner
Der mitteldeutsche Orgelbauer Christoph Junge
Christoph Junge wurde in Schlesien geboren (Datum unbekannt); er wuchs aber in Schweinitz (Kreis Lutherstadt Wittenberg) auf und starb im März 1687 in Erfurt.
Bis 1673 war er Geselle von Christian Förner in Weißenfels und als solcher Mitarbeiter beim Bau der Förner-Orgel für die Schlosskapelle der Augustusburg in Weißenfels. Bei Förner lernte er wichtige Prinzipien von dessen Orgelbau kennen: Bälge zum Aufziehen mit nur einer Falte; eine neue Art von Springladen; Zungenstimmen mit voller Resonatorlänge; Posaune mit Holzbechern. Diese Merkmale finden sich auch bei seinen eigenen Werken. Junge baute nachweislich folgende Instrumente:
1. Klosterkirche Doberlug, 1674–75 (II/17). 2. Stadtkirche Merseburg, 1676 (II/16). 3. Stadtkirche St. Trinitatis, Sondershausen, 1679–81 (II/28; Prospekt erhalten). 4. Schlosskapelle Sondershausen, 1682–83 (20/II). 5. Stadtkirche Weimar, 1683–84 (II/25). 6. Kathedrale St. Marien, Erfurt, 1684–87 (II/28). 7. Kaufmannskirche Erfurt, 1685–88 (II/25).
Die Orgel der Kathedrale von Erfurt wurde nach Junges Tod von seinem Meistergesellen David Merker fertiggestellt; die Orgel der Kaufmannskirche vollendete der Meistergeselle Johann Albrecht.
[Acta Organologica 29, 2006, 267-308]
John Maidment
Orgelbauer und Orgeln aus Deutschland in Australien
Ab 1850 wurden in Australien von deutschen Einwanderern Orgeln gebaut und ab 1861 wurden zahlreiche Orgeln aus Deutschland importiert. Die bedeutende Firma Walcker war der erste Importeur. Es folgten weitere Werkstätten wie Randebrock (Paderborn), Walter (Guhrau), Moser (München) und andere. Die von Krüger, Wolff, Lemke und Ernst Ladegast in Australien selbst hergestellten Orgeln bewahrten in ihrem Stil typisch deutsche Züge, auch hinsichtlich der äußeren Erscheinung und in klanglicher Hinsicht. Die importierten Instrumente haben auch einige lokale Orgelbauer beeinflusst. Der vorliegende Artikel behandelt sowohl die in Australien eingewanderten deutschen Orgelbauer und ihre Werke, als auch die über einen Zeitraum von 140 Jahren eingeführten Instrumente bis hin zur Fertigstellung der großen Klais-Orgel in Brisbane.
[Acta Organologica 29, 2006, 33-82]
Hans Musch
Ein Orgelbau am Schnittpunkt zweier Epochen.
Zum Werden der Orgel in der Maria-Hilf-Kirche in Freiburg (1935)
Im schnell wachsenden Stadteil Ober-Wiehre im Freiburger Osten setzt der barock-begeisterte Pfarrkurat Karl Hausch den Bau einer neuen Pfarrkirche Maria-Hilf 1929 im Neo-Barockstil durch. Als 1934 die Planungen für eine Orgel beginnen, soll diese nach seinem Wunsch künftig die Kirche mit barocken Klängen füllen. Er sucht für dieses damals außergewöhnliche Klangkonzept Berater und Experten. Damit ist der Grund gelegt für Auseinandersetzungen zwischen Vertretern traditionell spätromantischer Klangauffassung, vornehmlich beim zuständigen Erzbischöflichen Orgelbauinspektor Carl Schweitzer, und den Experten voller Fortschrittsgläubigkeit. Diese orientieren sich an der "Praetorius-Orgel" von 1921 des musikwissenschaftlichen Instituts der Universität mit ihrem frühbarocken Klangbild, übersehen dabei, dass Pfarrer Hausch den Barock um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Auge hat. Als allerwichtigstes Ziel erachtet wird die „richtige“ Registerdisposition, gefolgt von angemessener Mensuration des Pfeifenwerks und dessen Intonation nach neuesten Prinzipien. Die Disposition wird erbeten von Ernst Kaller, in vierjährigem Studium in Leipzig ausgebildet als Schüler von Karl Straube und danach Orgellehrer am Musikseminar der Stadt Freiburg. Selbstverständlich wird ein Rückpositiv in der Emporenbrüstung vorgesehen, das Hätschelkind der frühen deutschen Orgelbewegung. Peinlicherweise wird dabei von den Theoretikern total übersehen, dass das Rückpositiv ein Prospektregister braucht. Erst im letzten Moment wird es durch Tausch von Blockflöte 4’ gegen Italienisch Principal 4’ aus dem Brustwerk gewonnen. Für die Mensuration des Pfeifenwerks und seine Intonation wird Winfred Ellerhorst OSB vom Kloster Weingarten in Oberschwaben eingesetzt. Er liefert die Mensurationstabellen und sitzt bei der Intonation auf der Orgelbank, gibt dem durchaus intonationserfahrenen Orgelbaumeister Otto Mönch besserwisserisch seine ganz persönlichen Anweisungen und schießt dabei beträchtlich übers Ziel hinaus: die Orgel gerät im Verhältnis zur Größe des Kirchenraums zu leise. Überrascht und betroffen ist Orgelbaumeister Mönch, als Ellerhorst ihm eine Rechnung schickt über Mensuration und „Leitung der Intonation“. Von den beteiligten Theoretikern selbst wird die Orgel der Maria-Hilf-Kirche 1935 trotz allem voller Stolz gelobt als erste Orgel einer kath. Kirche in Freiburg nach Prinzipien der deutschen Orgelerneuerungsbewegung mit erhoffter Vorbildwirkung auf die gesamte Erzdiözese Freiburg. Der quasi kaltgestellte amtliche Orgelbauinspektor Carl Schweitzer bringt schließlich eine wesentliche Einsicht zum Ausdruck: Der Orgelbauer hat seine eigene Erfahrung in der Klanggestaltung; man sollte ihn nicht zum bloßen Ausführenden degradieren.
[Acta Organologica 29, 2006, 257-266]
Paul Peeters
Zur Baugeschichte der ehemaligen Orgel der Großen oder Eusebiuskirche zu Arnhem (Niederlande).
Erbaut 1768–1770 von den Gebr. Johann Michael und Johann (Christoph) Wagner aus Schmiedefeld (bei Suhl)
Die legendäre Wagner-Orgel der Großen oder Eusebiuskirche zu Arnhem ging im September 1944 durch Kriegshandlungen verloren. Der vorliegende Beitrag geht aus von dem Fund einer Mappe mit Archivdokumenten aus den Jahren 1768–1769, die sich zu einer Chronik des ersten Baujahrs dieses Instruments zusammenstellen ließen. Diese Chronik vermittelt interessante Einzelheiten zum Bauprozess: Es finden sich Daten über die Werkstatt, den Guss auf Sand, die Arbeitseinteilung (zuerst wurden z. B. die Prospektpfeifen hergestellt), dazu ausführliche Information zu den verwendeten Materialien, insbesondere über die Probleme im Zusammenhang mit dem Holzankauf. Der Chronik ist eine kurze Übersicht vorangestellt, in der die Geschichte der Orgel bis 1944 dargestellt wird. Nebst der vermutlichen Originaldisposition werden andere Aspekte des Instrumentes – wie das Register Carillon im Oberwerk – diskutiert und es wird eine von den Gebr. Wagner erfundene Schleifladenkonstruktion präsentiert (die jedoch bei der Arnhemer Orgel nicht angewandt wurde).
[Acta Organologica 29, 2006, 109-158]
Johannes Reichel
Der Orgelbauer Johann Peter Penick
Johann Peter Penick wurde am 6. Juli 1666 in Untermaßfeld (Thüringen) geboren. Er war zunächst als Geselle bei dem Orgelbauer Severin Holbeck in Zwickau tätig. Nach dessen Tod im März 1700 gründete er eine eigene Werkstatt in Zwickau und beantragte dort das Bürgerrecht. Als Orgelbauer ist er bis 1724 nachweisbar. Sein Sterbedatum ist nicht bekannt.
Bevor Penick eigene Instrumente baute, vollendete er die unvollendeten Orgeln von Holbeck in der Schlosskirche Gotha und in der Moritzkirche Zwickau. Folgende Neubauten sind bekannt: 1702 (Schneeberg)-Neustädtel; 1703 Glauchau, St. Georgen; 1707 Penig; 1710 Bitterfeld; 1711 (Hohenstein)-Ernstthal; 1715 Nenkersdorf; 1715 Zeulenroda; 1716 Neukirchen (-Wyhra); 1719 Hof a. d. Saale (Umbau); 1719 (Gera)-Thränitz; 1720 Kürbitz; 1721 Marlesreuth. Von seinen Instrumenten sind nur noch die Prospekte von Kürbitz, Nenkersdorf und Marlesreuth erhalten. Penicks Baustil wies, soweit sich heute noch feststellen lässt, thüringische Einflüsse auf.
[Acta Organologica 29, 2006, 309-330]
Horst Sandner
Die Klais-Orgel des Domes zu Fritzlar (1929).
Restaurierungsbericht
Die ehemalige Stiftskirche zu Fritzlar – heute meist „Dom“ genannt – erhielt ihre heutige Form im Wesentlichen zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert. Romanische Hallen gliedern das Westwerk. Vor der oberen Halle hängt noch der Barockprospekt einer Vorgängerorgel aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, der wahrscheinlich auf Johannes Schlottmann zurückgeht.
Hans Klais erbaute 1929 eine neue Orgel mit 45 Registern auf drei Manualen und Pedal, mit Kegelladen und elektrischer Spiel- und Registertraktur. Eine Orgel dieser Größe ließ sich in einer der Westwerk-Hallen nicht unterbringen. Hans Klais teilte deshalb sein Werk. Die Manuale I und II wurden in der mittleren Ebene – der „Kaiserloge“ untergebracht. Das III. Manual (Schwellwerk) verlegte er nach oben hinter den Barockprospekt. Die Pedalregister verteilte er auf beide Ebenen, offensichtlich um die klangliche Verschmelzung des Gesamtwerks im Raum zu fördern.
Im Jahre 1994 wurde das Instrument von Hans Gerd Klais restauriert. Bis auf den Austausch der Steuerung für die Schwelljalousien blieb dabei der gesamte Bestand original erhalten. Ohne jeden Eingriff in die Spieltischkonstruktion wurde eine moderne Setzerkombination in das elektrische Steuerungssystem des Instrumentes integriert.
[Acta Organologica 29, 2006, 199-230]
Albrecht Schneider / Richard von Busch / Dorothea Schröder / Lüder Schmidt
Zur klanglichen Dokumentation von Denkmalorgeln
Die Dokumentation historischer Orgeln sollte unbedingt die von den Pfeifen abgestrahlten Klänge einschließen. Dies ist insbesondere mit Blick auf die im 20. Jahrhundert relativ häufigen Restaurierungen gerade an berühmten Denkmalsorgeln zu fordern. Da Restaurierungsarbeiten in der Regel mit Veränderungen an Pfeifen und Windladen sowie anderen Teilen und Einrichtungen einhergehen, die direkt oder mittelbar Einfluss auf den Klang der Pfeifen haben, kommt der klanglichen Dokumentation für den Vergleich des Zustands vor und nach der Restaurierung große Bedeutung zu.
Es müssen daher vor und nach einer Restaurierung Schallaufnahmen von Pfeifen sämtlicher Register hergestellt und sachgerecht konserviert werden. Die Aufnahmen können mit Mitteln der digitalen Signalverarbeitung analysiert und die Ergebnisse verglichen werden.
Im vorliegenden Beitrag werden zunächst Grundsätze der klanglichen Dokumentation dargelegt und dann Aufnahmen der Klapmeyer-Orgel zu Altenbruch analysiert, die von uns 2001 (vor der letzten Restaurierung) und 2005 (nach Abschluss der Restaurierung von 2002-2004) gemacht wurden. Die Befunde von 2001 und 2005 werden an Hand einiger Beispiele verglichen und dabei Veränderungen klanglicher Parameter bei Pfeifen bestimmter Register wie auch fortbestehende Merkmale erörtert.
[Acta Organologica 29, 2006, 405-426]
Karl Schütz
Die Orgel der Wiener Minoritenkirche "Maria Schnee"
Die Orgel der Minoritenkirche (Italienische Nationalkirche) Wien wurde im Jahre 1786 von Franz Xaver Christoph, erbaut. Christoph verwendete Pfeifen, Windladen und Spieltischgehäuse einer 1673 erbauten Vorgängerorgel.
1815 teilte Friedrich Deutschmann die Mixtur des Hauptwerks in Mixtur und Zimbel.
1826 ersetzte Jacob Deutschmann die stummen Prospektpfeifen aus Holz durch Pedalpfeifen aus Zinn, baute in das Pedal ein neues Cornet 3fach ein, ersetzte im Positiv Super-Octav 1' durch Salicional 8', und stimmte die Orgel um 1/4 Ton höher. Das Salicional wurde später (zu einem unbekannten Zeitpunkt) durch ein neues mit Zinkpfeifen ersetzt.
1839 ersetzte Jacob Deutschmann die originalen Bälge durch einen neuen Magazinbalg mit Schöpfer und stimmte dabei die Orgel um 3/8 Ton höher.
1847 wurde durch Franz Ullmann der Stimmton nochmals um 1/8 Ton erhöht.
1917 wurden die Prospektpfeifen für Kriegszwecke requiriert. Sie wurden erst 1935 von Ferdinand Molzer durch Prospektpfeifen aus Zink ersetzt.
1972 erfolgte eine Teilrestaurierung durch Arnulf Klebel. Dabei wurde ein Teil der Prospektpfeifen in Zinn erneuert. Im Pedal wurde statt der fehlenden Kornettpfeifen ein Oktavbaß 4' aus neuen Pfeifen eingebaut.
Diese Orgel – gegenwärtig fast unspielbar – gehört zu den bedeutenden historischen Orgeln Wiens. Eine Restaurierung ist geplant.
[Acta Organologica 29, 2006, 159-178]
Achim Seip / Volker Keller
Die liberale Hauptsynagoge in Mannheim und ihre Walcker-Orgeln
Im Jahre 1855 erhielt die neu errichtete liberale Hauptsynagoge in Mannheim eine Orgel von Eberhard Friedrich Walcker. Sie war nicht nur die erste Synagogenorgel in Baden, sondern gehörte gleichzeitig zu den frühesten nachweisbaren Synagogenorgeln in Deutschland. Das Instrument verfügte über 22 Register auf zwei Manualen und Pedal sowie über mechanische Kegelladen.
1899 nahm die Firma Walcker einen Umbau der Orgel vor, bei dem das Instrument auf 31 Register (drei Manuale und Pedal) erweitert wurde. Die Trakturen wurden von mechanisch auf pneumatisch umgestellt.
Am 10. November 1938 wurde die Orgel mit der Synagoge von SA-Leuten zerstört.
[Acta Organologica 29, 2006, 179-192]
Gerhard Spallek
Erlebte Firmengeschichte in schwerer Zeit.
Die Firma W. Sauer nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Räume der Firma W. Sauer in Frankfurt an der Oder wurden nach Kriegsende von der Roten Armee beschlagnahmt und als Entlausungsanstalt benutzt. Nach und nach wurde alles, was an Holz vorhanden war – von Orgelteilen bis zu den Fußböden – zum Heizen der Wasserkessel benutzt. Als Anton Spallek, der Vater des Verfassers, im Frühjahr 1946 zusammen mit einigen Kollegen die Orgelbauarbeit wieder beginnen wollte, fanden sie ein total leeres Gebäude vor. Unter größten Mühen und primitivsten Verhältnissen konnte noch im Jahre 1946 aus gebrauchten Materialien eine kleine Orgel mit neun Registern für eine Kirche in Berlin-Charlottenburg gebaut werden. Langsam ging es aufwärts. 1957 entstand eine große Orgel (IV/80) für den DDR-Rundfunk in Ostberlin nach Plänen von Hans Henny Jahnn. Es folgte die Umwandlung in einen "Volkseigenen Betrieb" (VEB). Die Orgelbauer mussten mit den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen unter staatlicher Oberaufsicht zurechtkommen, bis schließlich der DDR-Staat aufhörte zu bestehen. Die Firma gelangte wieder in die Hände des früheren Besitzers (Walcker), der den Betrieb 1994 nach Müllrose verlegte. Mit dem Untergang des Hauses Walcker kam auch das Ende der Firma W. Sauer. Dank der Initiative von vier Mitarbeitern konnte aber eine neue Firma gegründet werden: "W. Sauer Orgelbau Frankfurt (Oder) GmbH".
[Acta Organologica 29, 2006, 359-372]
Franz-Josef Vogt
Der Orgelbauer Ludwig Hünd
Zu den rheinischen Orgelbauern mit regionaler Bedeutung gehört auch Ludwig Hünd (1812–1899) in Linz am Rhein. Er wurde wahrscheinlich in einem westfälischen Betrieb ausgebildet. Danach arbeitete er bei Bätz in Utrecht (NL), bei Laudenbach in Dülmen und schließlich bei Engelbert Maass und dessen Nachfolger Franz Wilhelm Sonreck in Köln. Um 1850 gründete er in Linz a. Rh. eine eigene Werkstatt. Da er keine Nachkommen hatte, führte sein Schüler Johann Stockhausen sen. ab 1873 die Werkstatt als Teilhaber und ab 1879/80 selbständig weiter.
Hünd war fast ausschließlich im Mittelrheingebiet tätig, wo einige seiner Instrumente erhalten geblieben sind. Bautechnisch und in seinen Dispositionen folgte er den etwas konservativen Tendenzen im zeitgenössischen katholischen Orgelbau des Rheinlands, wobei er eine Art Mittelweg zwischen Maass und Sonreck verfolgte. Es gelang ihm nicht, einen Auftrag für eine evangelische Gemeinde zu erhalten.
[Acta Organologica 29, 2006, 331-358]
Bert Wisgerhof
Die Sauer-Orgel der "Julianakerk" zu Veenendaal
Zwei Orgeln beeindruckten den Verfasser in seiner Jugendzeit ganz besonders: Die Orgel der Nederlandse Hervormde Kerk ("Julianakerk") zu Veenendaal, wo sein Vater Pfarrer war, und die Rundfunk–Orgel der "Nederlandse Christelijke Radio Vereniging" in Hilversum. Die Orgel von Veenendaal mit zwei Manualen und und 24 Registern + 3 Transmissionen im Pedal wurde im Jahre 1928 von der Firma W. Sauer in Frankfurt an der Oder erbaut. Leider wurde diese Orgel von einiger Zeit auf ungünstige Weise so stark verändert, dass der ursprüngliche romantische Klang heute nur noch in der Erinnerung des Verfassers lebendig ist. Die sogenannte "Sweelinck-Orgel" von Hilversum (Marcussen & Søn, Aaabenraa, 1953, II/16), durch die der Verfasser mit dem Klangstil der 1950er Jahre vertraut gemacht wurde, steht seit 2000 als Chororgel in der Nicolaïkerk zu Utrecht.
[Acta Organologica 29, 2006, 193-198]