Veröffentlichungen
ACTA ORGANOLOGICA 28 - Kurze Zusammenfassungen
Gerhard Aumüller
Orgeln und Orgelbauer in Hessen zur Zeit der Landgrafen Wilhelm IV. und Moritz des Gelehrten
Aus der Zeit der Organistentätigkeit von Heinrich Schütz am landgräflichen Hof in Kassel ist in Hessen als einziges zeitgenössisches Instrument die im Marburger Schloss museal aufgestellte Kleinorgel, das sog. "Althefer-Positiv" erhalten. Es repräsentiert einen Typus, wie ihn der wissenschaftlich und künstlerisch interessierte, etwas pedantische Landgraf Wilhelm IV. und sein begabterer, aber zu spontanen Aktionen neigender Sohn, Landgraf Moritz der Gelehrte geschätzt haben dürften. Während der Regierungszeit Wilhelms IV. waren fast ausschließlich nicht-landsässige Orgelbauer in Hessen tätig. So erbaute im (mainzischen) Stift Fritzlar Heinrich Compenius aus Nordhausen eine größere (Springladen?-) Orgel, und in der von Wilhelms Bruder Ludwig IV. regierten Landgrafschaft Hessen-Marburg war der später in Celle ansässige Braunschweiger Orgelbauer Hans Müller mit mehreren großen Neu- und Umbauarbeiten befasst. Erst gegen Ende der Regierungszeit von Moritz treten in Fritzlar (Jacobus Hein) und Lich (Georg Wagner) die ersten besser dokumentierten hessischen Orgelbauer auf. Die von Landgraf Wilhelm angeschafften Orgeln dienten mehreren Zwecken: 1. als Übe-Instrumente dem persönlichen Bedarf, 2. als Begleit-Instrumente der Hofmusik, 3. als Kirchen-Instrumente der Liturgie in den Schlosskirchen (Rotenburg, Schmalkalden, Kassel) und 4. als Repräsentationsinstrumente der Auszeichnung bzw. als Geschenke für nahe Verwandte und befreundete Höfe. Unter dem Einfluss Wilhelms entwickelte der Göttinger Orgelbauer Daniel Maier, sein wichtigster Instrumentenbauer, einen besonderen Stil oder Typus von Claviorganum, der hier als "Kasseler Hofstil" herausgearbeitet wird. Zwei Beispiele für die politischen Funktionen von Orgeln als repräsentativen Geschenken für befreundete bzw. verwandte Höfe sind die von Maier erbauten, bisher unbekannt gebliebenen Claviorgana, die Wilhelm seinem Bruder Ludwig bzw. König Karl IX. von Schweden schenkte. Unter Wilhelms Sohn Moritz setzt ein radikaler Umschwung ein: anstelle der alten Claviorgana lässt er durch die Hamburger Orgelbauer Scherer in seiner Residenzstadt Kassel mehrere neue, imposante Orgeln bauen. Er übernimmt mehrere Instrumente aus seinem Marburger Erbe für eigene Zwecke nach Kassel, andere verschenkt er. Möglicherweise gehört die Marburger Schloss-Orgel (Althefer-Positiv) in diesen Kontext. Aufgrund der Forschungen von E. Trinkaus und stilistischen Gründen (R. Menger, M. Kjersgaard, D. Schröder) muss man davon ausgehen, dass es sich im Kernbestand um ein erstklassiges Instrument aus der Zeit um 1580 handelt, das erst später (vor 1620) von der Schreinerfamilie Althefer aus Wetter repariert bzw. umgebaut wurde und das bis zu seinem Verkauf in die Gemeinde Friedlos bei Bad Hersfeld 1779 seine Dienst in der Stiftskirche Wetter getan hat. 1883 wurde es von Ludwig Bickell für das Marburger Schlossmuseum erworben.
[Acta Organologica 28, 2004, 37-64]
Martin Blindow
Die Orgelakten der Petrikirche Soest und ihre Bedeutung für die westfälische Musikgeschichte
Seit der Mitte des 15.Jahrhunderts waren in Soest Orgelbauer ansässig. Johann Busse, vermutlich Schüler von Marten de Mare, ließ sich 1604 in Soest nieder und heiratete 1626 eine Tochter von Arnold Bader. Bis Mitte des 17. Jahrhunderts lässt sich seine Tätigkeit nachweisen. Von Johann Georg Fromme (2. Hälfte des 18. Jahrhunderts) kennt man ca. 15 Arbeiten. Sein Sohn Nicolaus Fromme übernahm den väterlichen Betrieb, der bis ca. 1850 existierte. In dieser Zeit gab es eine zweite, weniger bedeutende Werkstatt in Soest, geführt von Bernhard und Engelbert Ahmer. Über Adam Fischer (um 1870 in Soest) und Heinrich Sassenhoff (um 1840) ist nur wenig bekannt
1611-1617 baute Johann Busse in mehreren Abschnitten für St. Petri eine dreimanualige Orgel. Sie wurde 1661 nach Unna verkauft. Der Bielefelder Henrich Reinking lieferte 1649 ein neues, ebenfalls dreimanualiges Instrument. Zwischen 1649 und 1661 standen demnach zwei dreimanualige Instrumente in der Petrikirche. Hundert Jahre später, 1867, stellte Schulze aus Paulinzella ein neues Instrument auf (III/40). Johann Gottlob Töpfer und der Elberfelder Komponist und Orgelvirtuose Jan Albertus van Eyken (1823-1868) schrieben ausführliche Prüfungsberichte. Die Schulze-Orgel wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und 1949 durch Kemper aus Lübeck wiederhergestellt, umgebaut und erweitert auf 46 Register und 4 Manuale. Schon 1963/64 musste man das Instrument ersetzen und kaufte die Steinmeyer-Orgel von St. Sebald in Nürnberg (1904 für St.Jakob in Oettingen gebaut). Diese Orgel wurde für Soest umgebaut und auf 49 Register erweitert. Im Jahre 2006 wird die Kirche ein neues dreimanualiges Instrument (III/45 + 2 Tr.) von Hartwig Späth erhalten.
[Acta Organologica 28, 2004, 99-141]
Holger Brülls
Der Orgelbau des 20. Jahrhunderts und die Architekturdoktrin von Moderne und Postmoderne.
Architekturhistorische und planungstheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Orgel und Raum
Der Verfasser erörtert die Kunstgeschichte der Orgel im 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund von Moderne und Postmoderne. Die Orgel wird im 20. Jahrhundert zu einer Architekturgattung eigener Art. Bedingt durch den Ornamentverzicht der funktionalistischen Moderne im Kirchenbau und das Wegfallen des architektonischen Charakters von Altar und Kanzel gewinnt die Orgel im Raum zwangsläufig eine Dominanz, die es in diesem Ausmaß in frühreren Epochen nicht gab. Zugleich wird die Gestaltung des Instrumentes funktionalistischen Architekturdoktrinen unterworfen (Form als Folge von Funktion, Ablesbarkeit der inneren Struktur am Äußeren, "Werkprospekt"). Die damit verbundenen gestalterisch-konstruktiven Normen (Werkgerechtigkeit, Materialgerechtigkeit, "ehrliche Lösungen") sind aber nicht architektonischer und ästhetischer, sondern moralischer Natur. Mit dem Aufkommen postmoderner Kritik am inzwischen veralteten Funktionalismus erhöht sich die Akzeptanz von Gestaltungsmotiven, die nicht funktional, sondern allein künstlerisch-ästhetisch begründbar sind. Während die meisten Kirchenarchitekten der Moderne das Planungsproblem Orgel ignorierten, fanden einige wenige herausragende Architekten zu mustergültigen Integrationen von Orgel und Raum, so vor allem Otto Bartning und Alvar Aalto. Der heutigen Denkmalpflege, die sich auch um die Erhaltung der Kirchenbauten der Klassischen Moderne bemüht, fehlt oft die Einsicht in den besonderen Stellenwert der Orgelgestaltung in derartigen Räumen. Dem Orgelbau, der in traditionellen technischen Kategorien denkt, fehlt die Bereitschaft, sich auf die spezifischen räumlichen Situationen in diesen Kirchen technisch und gestalterisch einzustellen, etwa durch Freipfeifenprospekte, auseinandergezogene Orgelanlagen und elektrische Traktur. Die Rolle des Architekten bei der Orgelgestaltung ist grundsätzlich als zwiespältig zu beurteilen. Der Blick auf die herausragenden Leistungen moderner Orgelarchitektur zeigt, dass die Sicherung von Qualität durch Hinzuziehung von Architekten nicht garantiert wird, dass vielmehr das Wirken begabter Orgelbauer als "professioneller Dilettanten" , die ihren Entwurfs- und Planungsgegenstand am besten kennen, vorbildlich ist.
[Acta Organologica 28, 2004, 347-400]
Hermann J. Busch
Die durchschlagenden Zungenstimmen in den Orgeln Friedrich Ladegasts und ihr Gebrauch
In den Dispositionen Friedrich Ladegasts treten nur sehr wenige Zungenstimmen auf. Bis auf Trompeten in den Manualwerken und einige Pedalzungen sind diese stets durchschlagend konstruiert.
Registrierungen mit durchschlagenden Zungen sind von Ladegast und von Franz Liszt überliefert.
Diese beziehen sich fast alle auf mehrstimmiges Spiel mit Mischungen aus Gedackten und Flöten in der 16'- und 8'-Lage, gegebenenfalls durch wenige Flöten 4' aufgehellt, denen die durchschlagenden Zungen ein harmoniumartiges Timbre verleihen sollen. Die Führung einstimmiger Kantilenen scheint nicht die vorrangige Bestimmung dieser Register gewesen zu sein.
[Acta Organologica 28, 2004, 313-322]
Alexander Fiseisky
Die Geschichte der Orgel in Lettland
Die ersten Nachrichten über Orgeln in Lettland stammen aus dem Jahr 1329: Paistu (Paisten) und Helme (Helmet; heute Estland). Die meisten archivalischen Belege über Orgeln aus der Zeit vor 1500 beziehen sich auf Riga (z. B. St. Katharina, 1392). Als erste Kirchen in Riga traten St. Jakobi und St. Peter zum Protestantismus über (1522). St. Peter hatte 1520 von Balthasar Zcineken, dem ersten namentlich in Lettland bekannten Orgelbauer, eine Orgel erhalten. Nach dem großen Stadtbrand (1547) baute Jacob Rab(e) (+ 1609) aus Lübeck, der 1598 in Riga seine Werkstatt einrichtete, eine neue Orgel für den Dom. Im Herzogtum Kurland sind vor 1600 Orgeln nachweisbar in: Jelgava (Mitau), Dreifaligkeitskirche, 1586; Kuldiga (Goldingen), St. Katharina 1593; Bauska (Bauske), Hl. Geist, 1595.
Im 17. Jahrhundert war Moritz (Mauritius) Wendt in Riga ansässig (1608-33). Er erhielt 1609 dem Auftrag, die Orgel von Kuldiga zu renovieren, kam damit aber nicht vorankam, so dass man 1611 Johannes Pauli (Paulus) engagierte. Dieser arbeitete mehrfach in Riga, u.a. 1630-33 (neue Orgel für St. Johann. Im Januar 1642 stellte Jakob Wendt, Sohn von Moritz, in Jelgava eine Orgel fertig.
In den Jahren 1697-1701 baute Cornelius Rhaneus (1671-1719) aus Kuldiga eine Orgel mit Rückpositiv für Ugale (Ugahlen; II/28), das älteste in originaler Form erhaltene Instrument in den baltischen Ländern. Rhaneus baute auch Orgeln für die Schlosskirche in Jelgava (1695-97), für Lestene (1707-08) und für St. Katharina in Kuldiga (1712-15). Kuldiga (Goldingen) wurde nach Riga das zweite Orgelbauzentrum in Lettland. Hier arbeiteten Mal. H. Erasmus (1694-1744), Albrecht Jordan (*1689; 1746-72), Paul Frölich (1720-1775) aus Frauenburg in Ostpreußen (1758-75) und Gabriel Julius Mosengel (Moosengel) aus Königsberg (1719-30). 1786 erhielt Edole eine reich dekorierte Orgel von Christoph Wilhelm Braweleit (Braveleit) (1752-1796) aus Labiau (Ostpreußen). Johann Heinrich Joachim (1696-1762) aus Schafstädt (Thüringen), in Jelgava ansässig, lieferte Orgeln für St. Gertrud in Riga (1753) und St. Anna in Jelgava (1755). Sein größtes Werk, die Orgel für die Dreifaltigkeitskirche in Liepaja (Libau) konnte er wegen fortschreitender Ertaubung nicht mehr fertigstellen. Gottfried Clossen (Kloss, Klossen, Kloos, + 1740) aus Danzig baute eine Orgel für St. Peter in Riga (1728-31, 1734, III/43). Der bedeutendste Orgelbauer des Baltikums im 18. Jahrhundert war Heinrich Andreas Contius (1708-1792) aus Halle a. d. Saale. Er baute u. a. für St. Jakobi in Riga (1760-61, II/25; Gehäuse erhalten). 1773-1779 bauter er in das bestehende Gehäuse der Dreifaltigkeitskirche Liepaja ein neues Instrument (II/38) ein. Hier begann er mit seinem Schwiegersohn Johann Andreas Stein (1752-1821) aus Augsburg zusammenzuarbeiten. Anlässlich des Neubaus für St. Simonis in Valmiera (1779-80) eröffneten sie hier eine Werkstatt, aus der 1783 die Orgel für die reformierte Kirche in Riga (II/14) hervorging. Stein lieferte auch Orgeln für St. Johann in Cesis (1786-87) und Evele (Wohlfahrt, 1788). Gegen Ende des Jahrhunderts zog er nach Pärnu (Estland).
Um 1800 traten Hausorgelbauer in Erscheinung. Es waren zunächst Autodidakten, die Orgeln für Privathäuser und Schulen bauten. Theodor Tiedemann (* um 1743) arbeitete von 1778 bis 1806 in Riga; sein Sohn Johann Theodor Tiedemann war von 1807 bis 1835 in Kurland tätig, später in Litauen. In der Zeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu Ersten Weltkrieg erreichte der Orgelbau in Lettland seinen Höhepunkt. In ländlichen Gegenden wurden vor allem Positive in großer Zahl aufgestellt, daneben aber auch ausgesprochene Kirchenorgeln. Johann Christoph Christien (tätig 1810 bis 1839 in Katlakalns bei Riga) hatte vor 1831 bereits 37 Orgeln gebaut. Karl Herrmann (1807-1868) zog von St. Petersburg nach Liepaja. Er baute insgesamt etwa 80 Orgeln und mehr als 50 Positive organs, alle nach Bauart und Klang sehr unterschiedlich. Zusammen mit seinem Sohn und Nachfolger Karl Alexander Herrmann (1847-1928) erweiterte er die Orgel der Dreifaltigkeitskirche Liepaja auf 77 Register und vier Manuale. Sein Neffe Karl J. Herrmann arbeitete von 1863 bis 1883 in Jelgava. August Martin (1808-1892) aus Dachwig (Thüringen) arbeitete ab 1837 in Riga. Er lieferte zwischen 1840 und 1885 etwa 67 Kirchen- und 19 Schulorgeln in die baltischen Länder sowie nach Russland und Polen. Die Orgel für Alt St. Gertrud in Riga (1867-76, III/31), wurde 1906 in Neu St. Gertrud aufgestellt. Sein Sohn Emil Martin (1848-1922), der vier Jahre lang bei Friedrich Ladegast gearbeitet hatte, installed the instrument in the Catholic church of St Jacob in Riga (1913, II/P/35, Opus 322). Friedrich Weissenborn from Thuringia, who lived in Riga, Krustpils, and Jekabpils (Jakobstadt), produced 85 organs in Latvia and Lithuania during the period 1865-1894.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts dominierten die großen deutschen Firmen: Johann Friedrich Schulze (1793-1858) aus Paulinzella (Jelgava, Dreifaltigkeitskirche, 1850, II/26); Friedrich Ladegast (fünf Orgeln, darunter Valmiera, St. Simonis, 1885-1886 (III/33); Barnim Grüneberg aus Stettin (Liepaja, Dreifaltigkeitskirche, 1884-85, IV/130, bis heute die größte mechanische Schleifladenorgel der Welt); G. F. Steinmeyer & Co. (Jaunpiebalga, 1914, II/24); W. Sauer (zehn Orgeln 1882-1906, darunter Riga, Alt St. Gertrud, 1906, III/45); E. F. Walcker & Cie. (1882-1913 and 1937, insgesamt 25 Orgeln, darunter Riga, Dom, 1882-83, IV/124). Der bedeutendste lettische Orgelbauer war Martins Kreslins (Martin Kresling, + 1911) aus Jekabpils, der 130-140 Orgeln und Harmoniums baute, darunter Bauska (1891, III/36), Araisi (1904, II/15), Usma (1879, II/6). Janis Betins, Organist und Orgelbauer, machte viele orgelbauliche Experimente.
Zwischen den beiden Weltkriegen blühte das kulturelle Leben Lettlands. Lettische Orgelbauer und der Deutsche Herbert Kolbe (* 1887) bauten zumeist kleine Instrumente. August Terkmann aus Estland baute 1927 eine Orgel für die lutherische Kirche St. Anna in Kuldiga (II/16). Der Pole Waclaw Biernacki baute 1931 für Liksna (II/27+1 Tr.). Die letzte Walcker-Orgel wurde 1937 für den Kozertsaal der Univerität of Riga geliefert (III/59 + 11 Tr).
Zwischen 1940 und 1991 wurden, wie in anderen Territorien der ehem. Sowjetunion, viele Orgeln (etwa 80) zerstört. Trotzdem erhielt das Lettische Konservatorium 1973 eine Sauer-Orgel (II/17), und the Walcker-Orgel in Riga wurde von VEB Eule Orgelbau Bautzen (1961-62) und D. A. Flentrop (1982-84) restauriert. Diese Orgel spielte im kulturellen Leben eine enorme Rolle. Im Jahre 1998 wurde die Lettische Vereinigung der Organisten und Orgelbauer gegründet.
[Acta Organologica 28, 2004, 11-36]
Werner Götz
Das Kammerpositiv von Georg Hacker (um 1580) in Stift Kremsmünster
Im "Steinsaal" der Benediktinerabtei Kremsmünster steht ein Positiv, erbaut um 1580 von Georg Hacker, über den nicht allzu viel bekannt ist. Dieses Instrument ist nicht nur wegen seiner eleganten äußeren Erscheinung, sondern vor allem wegen seiner technischen Gestaltung außerordentlich interessant ist und ein Unikat darstellt. Es verfügt über zwei Manuale. Das Obermanual hat den Tastenumfang C - d¹; es ist das Bassmanual. Das Untermanual hat als Diskantmanual den Ambitus c¹ - d³. Zum Bassmanual gehören die Register Holzregal 8' und Holzcoppel 4'. Das Diskantmanual ist mit den Registern Zinnregal 8', Principal 4' und Octave 2' besetzt. Da sich das Diskantmanual an das Bassmanual ankoppeln lässt ergibt sich für den Bassbereich die Wirkung einer Doppeloktavkoppel und somit die Gesamt-Disposition Holzregal 8', Holzcoppel 4', Zinnregal 2', Principal 1', Octave 1/2'. Das Positiv verfügt außerdem noch über die Nebenregister Dudelsackquinte C + G, Dudelsackquinte D + A, Kuckuck (g², e²), Borduntrompete C und Vogelgesang (2 Pfeifen in Wasserbehälter).
[Acta Organologica 28, 2004, 79-98]
Andreas Hahn
Die G. F. Jehmlich-Orgel der ev. Stadtkirche zu Lauenstein (Erzgebirge).
Geschichte - Restaurierung - Untergang
Die Orgel der evangelischen Kirche St. Maria & Laurentin in Lauenstein (2 Manuale, 19 Register) wurde von Gotthelf Friedrich Jehmlich als sein opus 3 in den Jahren 1817/18 erbaut und am 24. Januar 1819 eingeweiht. Es war der erste Neubau Jehmlichs für Sachsen, nachdem er vorher für Orte in Böhmen gearbeitet hatte.
1833 wurde die Orgel von Johann Gotthold Jehmlich um 1/4 Ton höher gestimmt und im Jahre 1896 um ca. einen Meter zurückversetzt. Dabei wurde die aus drei Keilbälgen bestehende Balganlage um 90 Grad gedreht und das Gehäuse verändert. Die Prospektpfeifen erhielten eine Bemalung mit Flammen- und Blumenmuster. Wahrscheinlich wurde damals das Register Siffloet 1' durch eine Aeoline 8' ersetzt. Im 1. Weltkrieg konnten die Prospektpfeifen vor dem Einschmelzen bewahrt werden. Anlässlich der Restaurierung der Orgel durch die Firma Jehmlich im Jahre 2000 wurde anstelle der Aeoline wieder eine Sifflöte 1' eingebaut.
Im Juli 2003 brannte das Instrument ab. Die Ursache für den Brand war wohl ein von einem Tier ausgelöster Kurzschlusses in der elektrischen Anlage der Orgel. Erhalten blieben lediglich Teile des Pedalwerks und die Balganlage. Eine Rekonstruktion des Instruments mit Wiederverwendung der wenigen noch erhaltenen Teile ist geplant.
[Acta Organologica 28, 2004, 239-274]
Gisela Jaacks
Arp Schnitger und die Hamburger Zünfte
Die Orgelbauer hatten innerhalb der Handwerkerzünfte einen besonderen Status, da sie mit unterschiedlichen Materialien und unterschiedlichem Werkzeug arbeiten mussten, deren Gebrauch nach den Zunftgesetzen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit bestimmten Gewerken vorbehalten war. Die Holz und Metall verarbeitenden Handwerker waren in Hamburg zu dieser Zeit in sog. geschlossenen Zünften vereint, die die Zahl der für solche Arbeiten zugelassenen Betriebe jeweils eng begrenzten.
Da die Orgelbauer sich nicht in solche Zünfte eingliedern konnten, mussten sie die zünftigen Handwerksmeister entweder an ihren Aufträgen beteiligen oder damit rechnen, daß sie verfolgt oder mit Sanktionen belegt wurden. Arp Schnitger scheint sich im guten mit den Hamburger Zünften, die sehr eifersüchtig über ihre Vorrechte wachten, geeinigt zu haben. Übergriffe anderer Handwerksmeister auf seine Werkstatt, wie sie einige seiner Kollegen hinnehmen mussten, sind in den archivalischen Quellen nicht belegt. Andererseits verstand er es auch, sich durch Sonderprivilegien der Fürsten, die in den Territorien rund um Hamburg herrschten, für den Orgelbau in diesen Regionen zu schützen.
[Acta Organologica 28, 2004, 275-282]
Michael Gerhard Kaufmann
Die politische Symbolik der Orgel im "Dritten Reich"
Während des "Dritten Reiches" konnte die Orgel als politisches Instrument aufgrund einer massiven Förderung durch die Organisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Deutschland einen rapiden Aufstieg nehmen: Schon seit den 1920er Jahren waren sogenannte "Heldenorgeln", die man zum Andenken der im Ersten Weltkrieg Gefallenen errichtet hatte, in das Denksystem "völkisch" orientierter Kreise als konsekrierender Bestandteil in Feiern mit nationalistischem Akzent einbezogen. Nach der "Machtergreifung" 1933 wurden nach diesen Vorbildern mehrere sogenannte "Feierorgeln" für die pseudo-religiösen Rituale der parteilichen Organisationen errichtet, da diese wie kein anderes Instrument angeblich das Ideal der "Volksgemeinschaft" in einer mit soldatischen Tugenden ausgerichteten klassenlosen Gesellschaft repräsentierten. Nach dem "Zusammenbruch" 1945 wurde die zwölfjährige "braune" Vergangenheit der Orgel über Jahrzehnte verdrängt, so dass eine kritische Auseinandersetzung erst seit Mitte der 1980er Jahre stattfand.
[Acta Organologica 28, 2004, 401-409]
Thomas Lipski
Konzertsaalorgeln in Deutschland bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihre architektonische Einbindung in den Konzertsaal
In den deutschen Konzertsälen wurden seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrunders Konzertorgeln eingebaut. Dabei bildeten sich nacheinander vier Arten der Aufstellung der Orgel heraus:
1. Die Orgel steht frei auf dem Orchesterpodium vor der Stirnseite des Konzertsaals.
2. Die Orgel steht in einer Nische der Stirnwand hinter dem Orchesterpodium.
3. Die ganze Stirnwand wird vom Orgelprospekt gebildet.
4. Die Orgel ist unsichtbar aufgestellt.
Beispiele:
1. Hamburg, Tonhalle (Peter Tappe, 1845; erste Kozertsaal-Orgel in Deutschland).
2. Leipzig, Gewandhaus (Walcker, 1884).
3. Hamburg, Musikhalle (Walcker, 1908). Magdeburg, Stadthalle (Sauer, 1928).
4. Gelsenkirchen, Hans-Sachs-Haus (Walcker, 1927).
[Acta Organologica 28, 2004, 283-298]
Johannes Reichel
Die Orgeln der Salvatorkirche zu Kürbitz im Vogtland
Die Salvatorkirche zu Kürbitz im Vogtland (Sachsen) beherbergt einen barocken Orgelprospekt aus dem Jahre 1720. Er ist ein Werk des Orgelbauers Johann Peter Penick aus Zwickau in Sachsen, der ihn zusammen mit der ersten Orgel schuf. Das Schnitzwerk fertigte Johann Nicol Knoll, die Fassung besorgte Heinrich Matheus Loh, beide aus Hof in Oberfranken. Im Jahre 1880 wurde die Orgel vom ersten Standort auf der Südempore nach Westen in eine neu geschaffene Turmöffnung versetzt. 1907 brach Reinhard Schmeisser aus Rochlitz diese Orgel ab und errichtete ein neues Werk mit pneumatischer Traktur. Die jetzt hinter dem leicht veränderten Prospekt stehende Orgel wurde 1977 von der Firma Jehmlich-Orgelbau Dresden erbaut.
[Acta Organologica 28, 2004, 189-238]
Alfred Reichling
Orgelklänge unter dem Hakenkreuz.
Feiern - Feierräume - Feierorgeln
Ein kennzeichnendes Merkmal des Nationalsozialismus war der Hang zur Veranstaltung von politischen Feiern und - damit fast zwangsläufig gekoppelt - die Herausbildung von Ritualen. Um die Mitte der 1930er Jahre wurde der Wunsch nach speziellen Feierräumen mit Orgeln laut. Besonders eifrige Befürworter der Einbeziehung der Orgel in nationalsozialistische Feiern waren Gotthold Frotscher, Herbert Haag, Wolfgang Auler und Wolfgang Stumme. Eines ihrer Sprachrohre war die Zeitschrift »Musik in Jugend und Volk« (ab November 1937). Politische Feiern sollten als pseudoreligiöser Kult auf die Teilnehmer eine starke emotionale Wirkung ausüben und sie über das Gefühl, nicht über den Intellekt, an den Nationalsozialismus binden. Der Orgel mit ihrem mächtigen Klang sollte dabei eine wichtige Funktion zukommen. Sie sollte die nationalen Lieder begleiten. Außerdem sollten eigene "Feiermusiken" komponiert werden, weil man nach Möglichkeit nicht auf das in den Kirchen übliche Repertoire zurückgreifen wollte. Gleichzeitig propagierte man auch den Bau von Positiven und Kleinorgeln für die Ausführung von weltlicher Kammermusik, z. B. Tänze oder Liedbearbeitungen aus der Renaissance- und Barockzeit, aber auch neue Kompositionen für Kleinorgeln.
Im Jahre 1936 erbauten die Firmen Walcker und Sauer in der Rekordzeit von sechs Monaten eine Orgel mit 220 Registern für die 180 m lange "Luitpoldhalle" in Nürnberg. Im gleichen Jahr erhielt Bayreuth gleich zwei Feierorgeln: die dreimanualige Steinmeyer-Orgel für das "Haus der deutschen Erziehung" und die viermanualige Walcker-Orgel für die "Ludwig-Siebert-Halle". Diese drei Instrumente haben, wie die meisten anderen der damals für politische Zwecke gebauten Orgeln, den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt.
[Acta Organologica 28, 2004, 411-444]
Marc Schaefer
Hans Süss und die Straßburger Münsterorgel, 1506-1516
Die von Friderich Krebs 1489-1491 gebaute Orgel des Straßburger Münsters wurde 1509-1511 durch Hans Süss nach damals neuen Gesichtspunkten umgebaut. Der am 24. September 1507 geschlossene Vertrag gibt Aufschluss über die Arbeit. Der Umbau wurde durch Arnolt Schlick geprüft. 1516 führte Hans Süss eine Reparatur aus. Der Umbau der Straßburger Münsterorgel durch Süss stellt einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der gotischen Orgel zur Orgel der Renaissance dar.
[Acta Organologica 28, 2004, 65-78]
Winfried Schlepphorst
Geschichte und Restaurierung der Orgel in Marienfeld (Westfalen)
In der Orgel des ehemaligen Zisterzienserklosters Marienfeld, die von Johann Patroclus Möller aus Lippstadt in den Jahren 1745-51 erbaut wurde, ist hinter der großartigsten Orgelfassade Westfalens nach gravierenden Umbauten von Randebrock (1883-84) und Fleiter (1924-25) eine vielschichtige Pfeifensubstanz erhalten. Windladen, Trakturen, Balganlage und ein Teil des Pfeifenwerks sind bei den Eingriffen des 19. und 20. Jahrhunderts jedoch verloren gegangen. Nach einer ersten Restaurierung durch Breil (1962-63) wurde das Instrument anlässlich einer notwendigen Renovierung 1995-99 durch die Orgelbauwerkstatt Kreienbrink nach heutigen denkmalpflegerischen Grundsätzen technisch erneuert und mit einer großen Keilbalganlage in der Art Möllers versehen. Ein rigoroser Rekonstruktion wurde jedoch vermieden. Die aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammenden historischen Register bilden zusammen mit den Pfeifenreihen Breils und Kreienbrinks eine gewachsene Substanz, deren verschiedene Schichten sich einem überraschend einheitlichen Klangbild einordnen.
[Acta Organologica 28, 2004, 143-154]
Hans Schmidt-Mannheim
Die Peter-Heroldt-Orgel in Buttstädt.
Auf den Spuren von Johann Tobias und Johann Ludwig Krebs
Der Kontrakt von 1696 zu dieser Orgel zeigt eine Pedaldisposition, die im Thüringer Raum nicht unüblich war. Neben zwei 16'-Registern stehen nur ein linguales 2'- und ein labiales 1'-Register. Der Pedalumfang sollte 30 Töne (C - f¹) umfassen. Heroldt starb vor Vollendung des Neubaus; die Fertigstellung besorgte der Orgelbauer Fincke im Jahre 1701. 1724 wurde das Instrument von Johann Gottfried Walther im benachbarten Weimar eingehend untersucht, wobei sich Walther als gründlicher Kenner des Orgelbaus auswies. An dieser Orgel wirkte der Organist und Komponist Johann Tobias Krebs, Vater von Johann Ludwig Krebs, dem Schüler von Johann Sebastian Bach. In der Folgezeit wurde das Instrument in der Michaeliskirche von Buttstädt immer wieder dem Zeitgeschmack angepasst. Eine Annäherung an die Originalgestalt der Orgel geschah durch die Initiative von Erhard Mauersberger im Jahr 1933. Die aktuelle Disposition stammt aus dieser Zeit. Nachkriegseinwirkungen und Geldmangel führten zu dem jetzigen, äußerst beklagenswerten Zustand von Kirche und Orgel.
[Acta Organologica 28, 2004, 155-188]
Albrecht Schneider / Andreas Beurmann / Richard von Busch / Lüder Schmidt / Eberhard Lauer
Über Beziehungen von Orgelstimmungen und klanglichen Merkmalen.
Ein Beitrag zur Diskussion über historische Orgelstimmungen aus akustischer Sicht
Diskussionen über historische Orgelstimmungen gehen in den meisten Fällen von der Interpretation schriftlicher Quellen aus. Dabei geht es einmal um musiktheoretische und organologische Traktate der betreffenden Zeit, in denen Fragen der Tonsysteme und Stimmungen behandelt werden. Zweitens analysiert man Werke der Musik mit Blick auf die dort vorkommenden Tonarten, Akkorde und Intervalle, um so Aufschluss darüber zu gewinnen, mit welcher Stimmung der Komponist gerechnet haben könnte.
Beide Ansätze haben eine gewisse Berechtigung, sollten nach unserer Auffassung aber durch empirische Befunde aus den Bereichen der Instrumentenakustik und Hörpsychologie ergänzt werden. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, daß die oft kontrovers geführten Diskussionen um Stimmungen und Temperaturen nicht von klanglichen Parametern ausgehen, sondern eine eindimensionale Betrachtungsweise verfolgen, bei der die in Skalen vorkommenden Töne bzw. Tonhöhen auf ihre jeweiligen Grundfrequenzen reduziert werden. Eine Stimmung stellt sich dann lediglich "horizontal" als eine Reihe von Grundfrequenzen dar, deren lineare Abstände durch Centwerte ausgedrückt werden. Gerade bei der Orgel spielt aber die vertikale Dimension der Stimmung, die mit dem Spektrum jeder einzelnen Pfeife und dann mit der Kombination verschiedener Pfeifen und Register zusammenhängt, eine entscheidende Rolle. Dies ergibt sich aus der akustischen Konzeption der Orgel als harmonischer Teiltonverstärker.
Der vorliegende Beitrag will durch empirische Befunde, die mit Verfahren der digitalen Signalanalyse gewonnen wurden, deutlich machen, daß die eindimensionale Betrachtung von Stimmungen mit Bezug auf die Orgel unzureichend ist. Eine sachgerechte Diskussion von Stimmungen und Temperaturen wird vielmehr die akustischen und psychoakustischen Effekte in Betracht ziehen, die aus dem Zusammenwirken der "horizontalen" Einstimmung von Grundfrequenzen und dem Teiltonaufbau einzelner Pfeifen sowie der verschiedenen Register resultieren.
[Acta Organologica 28, 2004, 323-346]
Joachim Walter
Die 1854 fertiggestellte Schulze-Orgel von St. Marien in Lübeck und ihre Register mit durchschlagenden Zungen.
Eine Quelle für die Registrierkunst im 19. Jahrhundert
St. Marien zu Lübeck erhielt 1854 durch die Firma Schulze eine neue Orgel auf vier Manualen und Pedal mit 78 Registern. Für diese Orgel hinterließen zwei Organisten, die an diesem Instrument wirkten, Hermann Jimmerthal (1809-1886) und Karl Lichtwark (1859-1931), Registrierungsangaben. Die Registrierungen, bei denen Zungen zum Einsatz kommen, zeigen:
- Zungenregistrierungen wurden allgemein in bewusster Abgrenzung zu Labialregistrierungen eingesetzt, meist um auf eine prägnante Art und Weise Formbezüge deutlich zu machen.
- Die Zungenregistrierungen bei den Transkriptionen Jimmerthals können nicht automatisch mit bestimmten Orchesterinstrumenten in Verbindung gebracht werden.
- Alle Zungenstimmen, auch die durchschlagende Aeoline 8', wurden durch 8'-Flöten abgedeckt.
- Die sanften Zungenstimmen (durchschlagende Aeoline 8' oder aufschlagende Clarinette 8') wurden nur in der mittleren und oberen Lage eingesetzt.
- Die durchschlagende Aeoline 8' wurde in allen acht überlieferten Registrierungsbeispielen grundsätzlich im mehrstimmigen Satz verwendet, sei es bei einmanualigem oder bei solistischem Spiel.
- Die durchschlagende Aeoline 8' nur bei mäßiger Bewegung verwendet.
- Lichtwarks Registrierung der durchschlagende Aeoline 8' ist im Sinne einer spätromantisch verfeinerten Klanggestaltung zu verstehen.
[Acta Organologica 28, 2004, 299-312]