Ganz unerwartet ist Ewald Kooiman während eines Ferienaufenthalts in Ägypten an einem Herzstillstand verstorben. Wer ihn auch noch in seinem 71. Lebensjahr als einen ganz vitalen Menschen erlebt hat, der regelmäßig Sport trieb, kann nur schwer fassen, dass Ewald Kooiman mitten aus einem ganz erfüllten, reichen Leben gerissen wurde. Im Frühjahr 2008 hatte er damit begonnen, seine dritte Gesamteinspielung der Orgelwerke Bachs in Angriff zu nehmen, nun auf elsässischen Silbermann-Orgeln.
Johann Sebastian Bach stand im Mittelpunkt seines Wirkens als Organist, Pädagoge und Wissenschaftler, doch erstreckte sich sein Horizont weit darüber hinaus. Seine akademischen Studien galten zugleich der Orgel wie auch der Romanistik. Er war Orgelschüler von Piet Kee am Sweelinck-Conservatorium in Amsterdam ("Prix d'excellence"), darauf folgten Studien an der Schola Cantorum in Paris bei Jean Langlais ("Prix de virtuosité"). An der Vrije Universität Amsterdam promovierte Kooiman 1975 mit einer Dissertation über das "Tombel de Chartrose", eine französische Erzählungssammlung des 14. Jahrhunderts, und war an dieser Hochschule zunächst als Dozent für Altfranzösisch und Universitätsorganist tätig. Als solcher spielte Kooiman regelmäßig "Lunchpausenkonzerte" auf der "Couperin-Orgel" der Aula, einer Kopie nach der Disposition des "grand huit pieds ordinaire" des Dom Bedos, zudem versah er in der Kapelle des Universitätsklinikums den sonntäglichen Orgeldienst. 1987 erhielt er an der Vrije Universiteit eine Professur für Orgelkunde und betreute drei Dissertationen, deren Themen die Weite seiner Interessen andeuten:
Hans Fidom, Diversity in Unity. Discussions on Organ Building in Germany between 1880 and 1918, Dieren 2002.
David Adams, "Modern" Organ Style in Karl Straube’s Reger Editions, 2007.
René Verwer, Cavaillé-Coll en Nederland, 2009 (im Druck).
Zu seinem 70. Geburtstag erschien eine Festschrift mit Beiträgen von Kollegen, Freunden und Schülern: Hans Fidom u.a. (Hrsg.), Pro Organo Pleno. Essays in Honor of Ewald Kooiman, Veenhuizen 2008.
Zeitweilig unterrichtete Kooiman auch am Sweelinck-Conservatorium Amsterdam, vor allem aber an der Sommerakademie in Haarlem und in zahllosen Meisterkursen in aller Welt.
In der Gesellschaft der Orgelfreunde war er von 1987 bis 2001 Mitglied des Beratenden Ausschusses.
Kooiman hat neben einer umfassenden Konzert- und Lehrtätigkeit zwei Einspielungen des gesamten Orgelwerks von Johann Sebastian Bach an historischen Orgeln sowie zahlreiche Aufnahmen mit Musik des 16. bis 20. Jahrhunderts vorgelegt. In seinen wissenschaftlichen Publikationen widmete er sich vor allem der Geschichte der organistischen Aufführungspraxis. "Daß eine umfassende Kenntnis und Aneignung der historischen Quellen allein noch keine künstlerisch überzeugende Interpretation gewährleistet, betonen wir mit allem Nachdruck!" Dieser Satz aus dem Vorwort des Buches Zur Interpretation der Orgelmusik Johann Sebastian Bachs (S. 8) benennt das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst, das auch den Organisten Ewald Kooiman kennzeichnete: Nicht die bloße Realisierung aufführungspraktischer Erkenntnisse prägte sein Spiel, sondern ein ganz persönlicher Ausdruckswille.
Ewald Kooiman galt als einer der profiliertesten Organisten, Orgelpädagogen und Orgelwissenschaftler der Gegenwart. Sein Wirken war geprägt von seiner unverwechselbaren Persönlichkeit, in der sich Temperament und Gelassenheit, Genauigkeit und Liberalität, nicht zuletzt auch ein herzlicher Humor, charakteristisch paarten. Wer ihn persönlich erlebt hat, dem wird auch der Duft seiner guten Zigarren unvergeßlich bleiben.
Eine große Trauergemeinde nahm am 4. Februar in der Westerkerk in Amsterdam in einem Gottesdienst, der ganz erfüllt war von Orgelmusik und Gemeindegesang, Abschied von Ewald Kooiman.
Tot ziens, Ewald!
Hermann J. Busch